Kinder des Feuers
hier, Daniel?«, fuhr sie ihn an.
Er zeigte kein schlechtes Gewissen. Bis auf seinen geduckten Kopf hatte er nichts mit einem Sklaven gemein. Vor allem würde ein solcher nie mit jener höhnischen Stimme sprechen, mit der er sich nun an seine Herrin wandte. »Ich wollte mich vergewissern, dass sie noch lebt. Hast du denn überhaupt keine Angst, sie könnte hier zugrunde gehen?«
Sie sprachen über sie, als wäre sie nicht da, und kurz fühlte sich Mathilda auch so – unsichtbar, vom Meer verschluckt. Niemand sah, wer sie wirklich war, niemand interessierte sich für das, was sie fühlte.
»Wenn sie mein Kind und das ihres Vaters ist, dann hält sie einiges aus.«
»Wenn dir an Stärke so viel gelegen ist, müsstest du auch Alanus Schiefbart mögen. Er ist bekannt dafür, dass er Wildschweine und Bären jagt wie kein zweiter – nicht mit Waffen, sondern mit einem gespitzten Holzpfahl.«
Hawisa hob ihre Hand – der Mönch duckte sich nicht einmal.
»Lass ihn in Ruhe!«, rief Mathilda. Ihre Kehle schmerzte, weil sie ihre Stimme schon lange nicht mehr erhoben hatte. Irgendwie war sie erleichtert, dass nicht nur Verzweiflung und Ohnmacht daraus klangen, sondern auch Wut.
Hawisas Blick fiel auf sie, und sie senkte ihre Hand. »Willst du dich noch länger störrisch zeigen?«
Mathilda überkam eine neue Woge der Übelkeit. Entsetzt schlug sie sich die Hand vor den Mund. Wenn sie sich übergab, würde Hawisa herausfinden, dass sie schwanger war. Sie presste die Lippen aufeinander, unterdrückte ein Würgen und hoffte, dass es zu dunkel war, um zu erkennen, wie bleich sie war.
Daniel hob erstmals den geduckten Kopf. »Sie ist noch nicht so weit«, stellte er voller Genugtuung fest.
Ohne ein weiteres Wort verließ Hawisa die Höhle. Der Mönch folgte ihr. Mathilda übergab sich erst, als sie wieder allein war.
Arvid hatte sich zwar unter einem der Bäume versteckt, doch das Blätterdach hielt dem Regen nicht stand: Nach den heißen letzten Tagen versank die Welt in Grau, Schlamm und Nässe.
Anstatt sich vor dem Regen zu ducken, hielt er ihm sein Gesicht jedoch entgegen. Seit Ewigkeiten hatte er sich nicht mehr gewaschen, wahrscheinlich war es vollkommen verschmutzt wie sein Haar, das zudem verfilzte. Der Regen würde nicht alles abwaschen können, er müsste seine Haut reiben, bis sie brannte, aber er wagte es nicht, ein Geräusch zu machen.
Gewiss, die Krieger, vor denen er sich gerade noch rechtzeitig in die Schatten der Bäume hatte flüchten können, waren längst ihres Weges geritten, aber womöglich folgten noch weitere. Und so wartete er frierend im Wald – nach dem rastlosen Leben der letzten Woche zum ersten Mal wieder dazu verdammt, die Gedanken zuzulassen, denen er bis jetzt davongeritten war, vor allem jenen, dass seine Suche sinnlos war und dass er sein Leben umsonst riskierte. Denn ja, es war lebensgefährlich geworden, allein unterwegs zu sein, obwohl er längst das fränkische Reich verlassen und wieder in die Normandie zurückgekehrt war. Auf die Grenzen, die die zwei Länder schieden, war kein Verlass mehr. König Ludwig betrachtete die Normandie wohl schon als sein Land – oder erlaubte zumindest seinen Kriegern, sich so zu benehmen, als gehörte jedes Fleckchen Erde ihnen, als dürften sie jeden Bauernhof ausrauben, jedes Feld zertrampeln, jede junge Maid schänden.
Arvid lauschte. Der Regen rauschte so laut, dass man dahinter keine Schritte oder Stimmen erahnen konnte. Er verharrte in seinem Versteck, lehnte sich an den Baum, umgriff seinen Stamm, um sein Gesicht darauf zu pressen und sich kurz dem Trug hinzugeben, der Baum sei ein lebendiges Wesen und er nicht allein auf der Welt. Seine Kleidung war ohnehin längst durchnässt.
Wie viel Zeit genau seit Richards Flucht aus Laon vergangen war, konnte er nicht sagen – nur dass sich seitdem nichts zum Guten gewendet hatte. Mathilda war vielleicht längst tot, jene beiden Krieger, die Osmond mit ihm auf die Suche geschickt hatte, waren von Letzterem überzeugt und wieder nach Senlis zurückgekehrt – und Richard war so weit von der Macht entfernt wie nie zuvor.
Der wortbrüchige Hugo hatte Bayeux angegriffen, und Rouen war in Ludwigs Hände gefallen. Anders als Hugo Bayeux hatte er die Stadt gar nicht erst belagern müssen, sondern sie kampflos errungen – einer Entscheidung Bernhards des Dänen geschuldet, der wusste, dass es sinnlos war, sich gegen diese Übermacht zu wehren. Er hatte seinen Kriegern befohlen, die Waffen
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