Kinder des Feuers
das Messer von seiner Kehle. »So, so. Du hast dich auch vor … ihnen versteckt«, stellte er fest.
Die Gesichter der anderen waren ausdruckslos, aber nicht mehr so feindselig. »Was tust du hier?«, fragte einer von ihnen.
Seine Hoffnung war zwar denkbar gering, aber er gab ihr trotzdem nach, erzählte hastig von seiner verschwundenen Braut, dass sie Mathilda heiße und dass er sie seit langem suche. »Habt ihr eine junge Frau gesehen, die durch die Landen irrt?«, schloss er verzweifelt.
Die Bauern schienen nicht überrascht, dass in diesen Zeiten einfach Menschen verschwanden und vergebens gesucht wurden. Dennoch schüttelte der, der ihn zuerst angesprochen hatte, den Kopf.
»Tut mir leid, aber hier begegnet man selten einsamen Frauen.«
»Und was macht ihr?«, fragte Arvid. »Was treibt euch in die Wälder? Obendrein bewaffnet?«
Der Mann hatte sein Messer sinken lassen und strich nun über die Axt, die an seinem Gürtel hing – keine Streitaxt, wie sie Franken oder Nordmänner trugen, sondern eine, mit der man im Wald Holz schlug. »Wir haben keine Schwerter, aber wir schützen uns, so gut es geht. Es ist ja sonst niemand da, der uns schützt. Die Herren in Rouen gewähren König Ludwig freie Hand – und der lässt wiederum seine Männer tun und lassen, was sie wollen.«
Er klang hasserfüllt, und Arvid widerstand nur mühevoll der Versuchung, ihm die Wahrheit zu gestehen – dass die Herren in Rouen die Bevölkerung nicht im Stich gelassen hatten, dass es aber im Moment keine andere Möglichkeit gab, als stillzuhalten und Unterwerfung zu heucheln.
»König Ludwig hat sich die Zeit, die er in Rouen zubrachte, mit Essen und Trinken vertrieben«, fuhr der Bauer fort, »und damit, alle Titel und Aufgaben an seine eigenen Ritter zu vergeben. Unter anderem …«, er verhielt kurz in seiner Rede, ehe er mit unheilvoller Stimme ausstieß, »… an einen gewissen Rudolf Torta.«
Arvid glaubte, sich vage daran zu erinnern, den Namen schon einmal gehört zu haben.
»Der König ist mittlerweile nach Laon zurückgekehrt und Rudolf Torta jetzt der offizielle Verwalter der Normandie. Und er begnügt sich nicht mit Essen und Trinken, gibt bedenkenlos das Geld aus, vergreift sich an den Besitztümern der Barone und Ritter, selbst an denen der Kirche. Hätte sich ihm nicht ein Priester entgegengestellt, so hätte er um ein Haar das Kloster von Jumièges zerstören lassen, nachdem man ihm dort nicht den Klosterschatz überlassen wollte.«
Arvid lauschte mit wachsendem Entsetzen. Als der Name Jumièges fiel, schmerzten plötzlich seine Glieder, und er dachte an die vielen Steine, die er geschleppt hatte, um das Kloster aufzubauen. Und nun war es bedroht? Ausgerechnet von einem Franken in Ludwigs Auftrag? Seine Empörung überwog die Schadenfreude, dass Abt Martin offenbar auf den Falschen gesetzt hatte.
»Das Schlimme ist, dass nicht nur die reichen Leute von den Franken heimgesucht werden, sondern auch wir Bauern«, klagte der Mann. »Täglich kommen sie, um weitere Abgaben einzutreiben. Begnügten sie sich gestern noch mit zwei Ferkeln, müssen es morgen vier sein. Nahmen sie früher eine Metze Leinsamen und eine Metze Linsen, fordern sie jetzt auch noch Getreide – und das nicht erst im Herbst nach der Ernte, sondern schon jetzt im Frühling, da wir selbst noch bangen müssen, ob die Felder Früchte treiben.« Er spuckte aus, als würde ihn die Wut ansonsten vergiften. »Der Grund, aus dem wir aber schließlich in den Wald geflohen sind«, fuhr er etwas gemäßigter fort, »ist, dass König Ludwig verlangt hat, dass ihm die Ritter und Bischöfe für vierzig Tage im Jahr Krieger zur Verfügung stellen. Und da diese nicht auf ihre Männer verzichten wollen, holen sie sich einfache Bauern und zwingen sie zum Dienst am Feind.«
Wieder spuckte er aus, schnaubte dann, blickte schließlich nach oben. Von den Blättern tropfte es, aber es hatte aufgehört zu regnen. Mehrmals blickte er sich misstrauisch um, ehe er aus dem Schutz der Bäume trat. Die anderen Bauern folgten ihm, Arvid auch.
»Wohin wollt ihr denn jetzt?«, fragte er.
»Die Versuchung ist groß, uns einfach zu verkriechen – aber wenn die Herren in Rouen sich als feige erweisen, wir sind es nicht. Wir haben beschlossen, selbst noch die entlegensten Höfe vor den Franken zu warnen. Hier in der Nähe lebt ein altes Bauernpaar, Ingeltrude und Pancras. Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, was sich in dieser grausamen Welt zuträgt.«
Er hob trotzig die
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