Kinder des Feuers
Axt, und Arvid war vom Trachten des einfachen Mannes, sein Land und die Menschen, die dort lebten, zu schützen, gerührt.
»Schließ dich uns an«, forderte der Bauer.
»Eigentlich bin ich auf der Suche nach dem Kloster Sainte-Radegonde.«
»Pancras und Ingeltrude können dir vielleicht sagen, wo es ist.«
Arvid nickte, band sein Pferd los, um es fortan an den Zügeln zu führen, und folgte den Männern zu Fuß. Zwar war er so viel langsamer unterwegs, aber er genoss das Gefühl, in einer feindseligen Welt nicht ganz allein zu sein.
Ingeltrude hatte gedacht, sie wäre alt genug, um alles über das Leben zu wissen, und weil alles letztlich schrecklich war, könnte sie nichts mehr quälen. Doch nun erkannte sie, dass man nie zu alt, zu resigniert, zu abgeklärt ist, um eisigen Schrecken zu empfinden, um sein Leben zu bangen und um das seiner Liebsten kämpfen zu wollen, wenn plötzlich fremde Krieger auftauchen.
Dabei hatte es ja keinen Sinn. Es wäre leichter gewesen, sich stumm der Übermacht an Männern zu ergeben und sich von ihnen abschlachten zu lassen. Was hatten Pancras und sie ihnen auch entgegenzusetzen? Die Erklärung, warum sie seit Ewigkeiten keine Abgaben mehr bezahlt hatten – weil sie nämlich so einsam lebten, dass alle Welt sie vergessen hatte?
Diese Männer rund um einen Anführer, der sich als Brocard vorstellte und behauptete, im Auftrag eines Rudolf Tortas zu kommen, sahen nicht so aus, als würden sie alle Welt dafür verantwortlich machen, sondern nur sie allein. Einsamkeit – auch diese Erkenntnis überkam sie, als die Männer erst ihre Vorratskammern, dann ihr Haus heimsuchten, um entweder zu stehlen oder zu verwüsten – schützte nur bedingt.
»Verflucht sollt ihr sein!«, schrie sie wider besseres Wissen einen ohnmächtigen Zorn heraus, den sie längst abgelegt zu glauben dachte. »In der Hölle werdet ihr schmoren, weil ihr zwei alte Menschen, die von ihrer Hände ehrlicher Arbeit leben, beraubt. Gott der Allmächtige wird euch strafen!«
Insgeheim bezweifelte sie, dass Gott strafte – und die Männer bezweifelten es wohl auch. Ohne jede Furcht vor einer höheren Gerechtigkeit grinsten sie, schlachteten die Hühner, die danach noch wenige Schritte lang kopflos im Hof liefen, und entfachten ein Feuer. Darin wollten sie erst die Hühner braten, wie sie verkündeten, und später Haus und Scheune anzünden. Sie zertrampelten den Acker, auf dem Pancras und Ingeltrude erst wenige Wochen zuvor gesät hatten, und traten mit ihren Füßen gegen die kleine Vorratskammer, bis deren wacklige Wände knarrend nachgaben. Sie grinsten nicht nur, sie lachten nun auch, am lautesten Brocard.
»Das Land ist nun wieder fränkisch! Und das bedeutet, dass wieder Recht und Ordnung herrscht! Nun könnt ihr euch nicht länger hinter den Nordmännern verstecken!«
Pancras, der mit hängenden Schultern das Werk der Zerstörung betrachtete, schüttelte warnend den Kopf, aber Ingeltrude konnte nicht aufhören, jenen ohnmächtigen Zorn auch weiterhin aus sich herauszuschreien: »Wir haben uns nie hinter den Nordmännern versteckt! Ich bin alt, ich wurde von ihnen heimgesucht wie heute von euch. Wir sind doch selbst Franken.«
Nicht nur, dass sie zornig war wie nie – nie hatte sie in den letzten Jahren so viele Worte auf einmal gemacht, allesamt nutzlose Worte, wie sie wusste. Ganz gleich, welches Blut in ihren Adern floss – für diese Männer würde sie nie ihresgleichen sein, nur eine, die sie treten konnten. Einer tat es, als sie nicht zu schreien aufhörte, und traf ihren Magen. Die Luft blieb ihr weg, der Schmerz ließ sie verstummen. Als sie keuchend auf die Knie fiel, spürte sie wieder Pancras’ Blick auf sich ruhen. Diesmal schüttelte er nicht den Kopf, sondern war voller Mitleid, und zugleich versuchte er sie stumm zu beschwören: Lass es geschehen, wir sind doch schon so gut wie tot, tröste dich damit, dass wir immerhin alt geworden sind.
Ja, dies glaubte sie aus seiner Miene zu lesen – und es entfachte noch mehr Zorn.
Was nützt es, hätte sie gern einen lang verschwiegenen Kummer aus sich herausgeschrien, was nützt es, alt zu werden, wenn man all seine Kinder an Kälte und Hunger verliert?
Pancras schloss die Augen und begann lautlos zu murmeln. Wahrscheinlich dachte auch er in diesem Augenblick an ihre Kinder und dass er sie bald wiedersehen würde. Er hatte diese Hoffnung, er konnte beten – sie nicht. Nichts bewog sie, stillzuhalten, nichts stärkte ihren Glauben, dass am
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