Kinder des Feuers
ihr.
»Ach, Mädchen«, seufzte er, und irgendwie schien er mitleidig, »ach, Mädchen, so wehr dich doch nicht. Gib auf! Gib doch einfach auf! Genauso wie …«
Er brach ab, aber sie ahnte, was er sagen wollte. Gib auf wie ich – gib auf wie der junge Mann, der ich einst war, der geträumt hat zu regieren, ohne zu erobern, zu führen, ohne zu töten, der geträumt hat, eine junge Frau zu haben, die aus Liebe bei ihm bleibt, nicht weil sie mit Gewalt gezwungen wird. Gib die Hoffnung auf, dass auch der Schwache manchmal gewinnt. Das tut er nicht, also kämpfe mit allen Mitteln, der Starke zu sein, und gib bei diesem Kampf sämtliche Sehnsüchte auf, sie sind ja doch nur unnützer Ballast.
Sie begriff: Er würde sie nie gehen lassen – und Hawisa noch weniger.
Mathilda hörte ihre Schritte, fuhr herum. Als sie auf sie zutrat, blitzte kein Wahnsinn mehr in ihren Augen – nur … Enttäuschung.
Mathilda erwartete keine Milde, und sie bekam keine. Sie versuchte nicht, sich zu rechtfertigen – und Hawisa versuchte nicht, das Verhalten der Tochter zu verstehen, sie ließ sie einsperren. Als man sie fortbrachte, war Mathilda beinahe erleichtert, dem strengen Blick der Mutter nicht länger ausgeliefert zu sein. Das drohende Gefängnis verhieß nicht nur Einsamkeit, sondern auch Schonung vor der blechernen Stimme, die als Letztes befahl: »Du solltest die Zeit nutzen, um nachzudenken.«
Sie nicht länger hören zu müssen war jedoch nicht lange eine Wohltat. Alles schien leichter zu ertragen als die Eiseskälte des Kerkers. Es war kein von Menschen geschaffener Raum, in den man sie brachte, sondern eine Höhle, die das Meerwasser in Hunderten von Jahren in den Stein gegraben hatte. Von der Decke tropfte Salzwasser. Der Boden war zwar aus gestampfter Erde und mit Stroh bedeckt, doch das Stroh war verfault, und überall hatten sich Pfützen gebildet. Der Wind stöhnte, die Wellen, die die Klippen umtosten, klangen wie Donner. Wieder und wieder hallte jener Laut von den Wänden der Höhle wider, und Mathilda, die sich zunächst in eine Ecke gehockt hatte, den Kopf zwischen ihren Knien verborgen, ertrug ihn schon nach kurzer Zeit nicht mehr. Sie hielt sich die Ohren zu, aber das Donnern war lauter. Der Schädel brummte erst nur, begann dann zu schmerzen.
Alles tat plötzlich weh, jeder Knochen, jeder Muskel, vielleicht vom langen Ritt, vielleicht von der Anspannung, die sich entlud. Mathilda kniff die Augen zusammen, und als sie sie einige Zeit später öffnete, war es stockfinster. Die Welt schlief, nur das nimmermüde Meer schwieg nie.
Sie erhob sich und begann, auf und ab zu gehen, um sich warm zu halten. Ihr kam der Verdacht, dass Hawisa sie nicht zum Nachdenken bewegen, sondern sie vielmehr in den Wahnsinn treiben wollte. Warum würde sie sie sonst die ganze Nacht hierlassen, den nächsten Tag, die nächste Nacht? Sie vergaß, die Tage zu zählen, sie vergaß zu hoffen, dass sie befreit würde.
Vielleicht hatte die Frau, die ihre Mutter war, sie einst geliebt, aber nun war ihre Sturheit größer als ihr Herz. Sie, Mathilda, war nicht nur ihre Tochter, sondern Mittel zum Zweck, und wenn sie sich gegen ihre Pläne sträubte, dann würde sie ihren Willen brechen.
Manchmal war sie so zermürbt, dass sie allem zugestimmt hätte, um befreit zu werden, doch wenn sie an Hasculf dachte, packte sie kaltes Grauen, das Sehnsuchtsland mit der Blumenwiese wurde zum Land dunkler Höhlen, das sie hasste, nur ihre Sehnsucht nach Arvid verstummte nicht. Das Einzige, was wärmte, das Einzige, was das Meeresrauschen übertönte, war sein Bild, das sie immer wieder heraufbeschwor. Und schließlich, Mathilda wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, gab es noch etwas anderes, das sie darin bekräftigte, nicht aufzugeben.
Eines Morgens wurde ihr vom Anblick des Essens, auf das sie sich sonst immer hungrig gestürzt hatte, übel. Sie bekam nichts anderes als faden Brei und Milch, manchmal auch noch trockenes Brot, doch als das karge Mahl vor ihr stand, überkam sie solch ein Ekel, als würde man ihr verdorbenen Fisch vorsetzen. Vielleicht lag es am salzig-fauligen Geruch, der in der Luft lag … vielleicht aber auch an etwas ganz anderem.
Der Verdacht kam langsam, setzte sich dann aber umso hartnäckiger in Mathildas Gedanken fest. Es gab nichts, was sie ablenkte, und irgendwann wagte sie es, dem Verdacht auf den Grund zu gehen. Sie betastete ihren Körper, spürte, dass ihre Brüste etwas üppiger waren als sonst, spürte einen
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