Kinder des Feuers
Ende belohnt wurde, wer demütig das Leid ertrug, und dass hinter der Schwelle des Todes ein lichtes Reich wartete, wo ihre Kinder spielten. Sie hatten auf Erden kaum gespielt. Sie hatten in Haus und Hof mithelfen müssen, kaum dass sie laufen konnten.
»Ihr verfluchten Dreckskerle!«, schrie sie, bis sie heiser wurde, und rappelte sich trotz der Schmerzen auf. »Ihr Hurensöhne und Bastarde. Gott möge eure Zunge verfaulen lassen und euer Gemächt. Gott möge euer …«
Sie kam nicht weiter. Diesmal wurde sie nicht getreten. Einer der Männer hob die Hand, schlug ihr erst ins Gesicht, dass sie Blut schmeckte, und langte dann ein weiteres Mal zu, um ihren Kittel aufzureißen. Erst traf sie kalte Luft, dann spürte sie schwielige Hände, die sie packten. Ihr Fleisch war welk, die Haut schien zu groß für ihren geschrumpften Körper und hing in Falten herunter. Doch das war den Männern, die schimmliges Brot aßen, wenn sie hungrig waren, und vergorenen Wein tranken, wenn sie durstig waren, wohl gleich. Sie würden auch aus einem alten, schlaffen Leib noch Lust ziehen – weil Lust für sie nicht bedeutete, sich aneinander zu wärmen und liebevoll zu erforschen, sondern zu unterwerfen und zu demütigen.
Zwei weitere packten sie nun, und sosehr sie sich auch wehrte – sie hatte keine Chance. Pancras hielt die Augen immer noch geschlossen. Gut so. Sollte er die Erinnerungen an die Kinder beschwören, während sie geschändet wurde, lange nachdem ihre fruchtbaren Tage zu Ende gegangen waren.
Man drückte sie zu Boden, packte sie an den Schenkeln, drückte sie auseinander. Sie glaubte schon zu fühlen, wie ihr Leib entzweiriss. Doch er blieb ganz. Anstelle von Fäusten trafen sie Erdbrocken. Sie stoben unter Pferdehufen hoch. Die Männer ließen sie los, sie konnte die Schenkel schließen, sich aufrichten, erkennen, wer da geritten kam: ein Mann, dessen Gesicht nicht roh und grausam anmutete wie das der fränkischen Krieger und an dessen Gürtel – breiter und vornehmer als der von Bauern – kein Schwert hing.
»Was geht hier vor?«
Der Reiter war nicht allein, drei Männer begleiteten ihn – ohne Pferd, aber immerhin mit Sensen und Messern ausgestattet. Doch die würden ihnen nichts nützen. Zu viert befanden sie sich in der Minderheit. Ingeltrude erkannte das sofort – und Brocard auch. Er trat auf den Reiter zu, musterte ihn erst argwöhnisch, dann spöttisch.
»Wir schaffen Recht und Ordnung«, meinte er gedehnt.
»Indem ihr alte Bäuerinnen vergewaltigt? Ist es das, was sich König Ludwig für die Normandie wünscht?«
Brocard grinste. Ingeltrude wusste, was er dachte – sie dachte es ja selbst: Es war nichts Ehrenwertes, für Gerechtigkeit zu kämpfen, nur dumm. Und dennoch war sie dankbar, dass der Fremde es versuchte. Noch nie hatte sich jemand für sie eingesetzt, und allein aus diesem Grund – zu erleben, wie dem Grölen von Unholden eine Stimme entgegengesetzt wurde – hatte es sich gelohnt, so alt zu werden und so viele Jahre der Einsamkeit zu erdulden.
»Was ficht es dich an?«, rief Brocard. »Wer bist du überhaupt?«
Sie sah Angst in den Augen des Mannes aufblitzen, aber zugleich die Hoffnung, noch heil aus der Sache herauszukommen. »Ich gehöre zum Gefolge Bernhards des Dänen.«
Kurz wünschte Ingeltrude inständig, es würde ihn retten – wünschte es ihm, dem fremden Retter, noch mehr als sich und Pancras. Doch die Männer, die ihren Kittel aufgerissen und sie zu Boden gedrückt hatten, stürzten nun auf den Reiter zu und zogen ihn nach kurzem, vergeblichem Kampf vom Pferd. Die Bauern, die ihn begleitet hatten, halfen ihm nicht, sondern nutzten die Gelegenheit, hastig zu fliehen.
Ingeltrude zog den Kittel über ihre nackte, welke Haut, fühlte keinen ohnmächtigen Zorn mehr, sondern hätte am liebsten geweint.
»So, so … Bernhard der Däne …«, erklärte Brocard. »Das könnte interessant sein. Wollen wir doch sehen, was du mir über ihn verraten kannst. Ich kann mir denken, dass er das eine oder andere Geheimnis hütet, von dem du weißt.«
Die Angst stand noch deutlicher im Gesicht des Fremden geschrieben, aber auch Sturheit. Reue, für sie eingeschritten zu sein, suchte sie vergebens.
»Ihr bringt Schande über euren König!«, zischte der Mann.
Brocard ging nicht darauf ein. »Ich fürchte, du wirst mir diese Geheimnisse nicht freiwillig verraten, richtig?«
Er wandte sich an die anderen Männer, deutete aufs Feuer. »Macht ein Stück Eisen heiß!«
Ingeltrude
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