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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Mal Zweifel an ihren Plänen. Schweigen folgte, und Mathilda fühlte Schwindel aufsteigen. Die Gesichter der anderen verschwammen – nur jenes des Mönchs nicht. Der stand plötzlich neben ihr und raunte ihr ungefragt zu: »Dökkur ist Rögnvaldrs Bruder. Am Tag des heiligen Michael, als sich Bretonen gegen Felecan erhoben, ist er geblendet und kastriert worden.«
    Mathilda hatte keine Ahnung, warum er ihr das erzählte. Offenbar gefiel ihm diese Geschichte, die davon kündete, dass jene, die Gewalt säen, ihr manchmal selbst zum Opfer fallen.
    »Ich habe lange als Eremit im Wald gelebt«, fuhr er fort. »Auch dort habe ich einen Kastrierten gekannt. Er war ein Mönch wie ich, und er hat sich selbst entmannt, weil ihn Dämonen dazu verführen wollten, mit einem Mitbruder widernatürlich Unzucht zu treiben.«
    Er klang belustigt, in Mathilda stieg Ekel auf.
    »Halt dein Maul!«, zischte Hawisa.
    Meinte sie Dökkur oder Bruder Daniel?
    Eben wandte sie sich jedoch an keinen der beiden, sondern an Mathilda. »Kann ich auf deine Treue zählen?«
    Diese Frage hatte sie schon zuvor gestellt, und Mathilda hatte beteuert, dass es so sei. Offenbar wollte sie, dass sie es noch einmal vor den anderen bekräftigte.
    Mathilda kämpfte gegen den Schwindel an. Sie wusste, was immer sie nun sagte, musste überzeugend klingen. Hawisa war zu besessen, um ihr nicht leichtfertig zu glauben, aber der blinde Dökkur würde am Zittern ihrer Stimme erkennen, ob sie log oder nicht, und der Mönch Daniel war einer, der offenbar nur darauf wartete, dass andere scheiterten, stritten, logen, zugrunde gingen – und er sich amüsieren konnte.
    »Als Kind«, setzte Mathilda an, »als Kind hat Rögnvaldr … hat mein Vater mir eine Geschichte erzählt. Die Geschichte von König Hogin und seiner Tochter Hild. Hild hat sich in Hedin verliebt, und um zusammen sein zu können, sind sie vor ihrem strengen Vater geflohen. Hogin hat sie verfolgt, und auf einem großen Feld kam es zwischen seinen und Hedins Männern zu einer großen Schlacht. Sie währte eine Nacht, am Morgen danach waren fast alle tot. Hild war verzweifelt, als sie die vielen toten Krieger sah, und bat Odin, die Walküren davon abzuhalten, die Gefallenen nach Walhall zu bringen. Alle wurden sie vom Tode auferweckt – doch nur, um am nächsten Morgen wieder gegeneinander zu kämpfen. Es ist dies eine Schlacht, die ewig währt.«
    Sie wusste nicht, wann ihr diese Geschichte in den Sinn gekommen war – ob eben erst oder in den vielen einsamen, kalten Stunden in ihrem Verlies. Sie wusste nur, in der Welt ihrer Mutter und wohl auch in der ihres Vaters war dies eine Geschichte, die man sich begeistert erzählte, nicht voller Kummer über sinnlose Grausamkeit – in gleicher Weise, wie Daniel grinste und seine Augen blitzten, wenn er schreckliche Bilder von Blendung und Entmannung heraufbeschwor.
    »Eine Schlacht, die ewig währt«, wiederholte Mathilda, »das ist auch dein Leben. Nicht wahr … Mutter?«
    Vielleicht hatte sie es übertrieben. Daniel grinste heimtückisch, Dökkur runzelte die Stirn, nur Hasculfs Gesicht war ausdruckslos.
    Hawisa aber klatschte die Hände zusammen. »Ich wusste, du kannst sein Erbe nicht leugnen! Ich wusste, dass du dich eines Tages wieder an alles erinnern kannst!«
    »Jene ewige Schlacht«, murmelte Mathilda, »ich will sie an deiner Seite führen.«
    Am Abend sah sie Bruder Daniel wieder. Schon eine Weile hatte er sie belauert, und sie hatte nicht verhindern können, unter seinem nachdenklichen Blick zu erröten. Er schien ein guter Beobachter zu sein, dem es schon manches Mal das Leben gerettet hatte, Stimmungen rechtzeitig zu deuten. Mathilda ahnte, dass er ihre Lügen leichter durchschaute als ihre Mutter, und legte instinktiv ihre Hand auf den Leib, um ihr ungeborenes Kind zu schützen – ohne Zweifel ein Fehler, weil eine zu offensichtliche Geste.
    Nun, dass sie schwanger war, erriet er nicht, schließlich war er ein Mann, und als sie die Hand wieder vom Bauch nahm, trat er zu ihr und begann mit spöttischem Grinsen eine Geschichte zu erzählen.
    »Hier im Cotentin gibt es eine Burg, und diese Burg heißt Pirou. Vor vielen Jahren wurde sie von Nordmännern belagert. Die Bewohner haben Gott angefleht, sie zu erretten, und Gott hat ihnen die Gnade erwiesen. Vielleicht hat er sich aber auch einfach nur einen Spaß erlaubt. Er hat sämtliche Bewohner nämlich in Gänse verwandelt, und auf diese Weise konnten sie sich in die Lüfte schwingen und

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