Kinder des Feuers
ich niemanden mehr hatte.«
Er unterdrückte den Drang zu fragen, warum das so war. Entscheidender als ihre Herkunft war, was die Zukunft zu bieten hatte.
»Und Graf Wilhelm? Kennst du ihn gut?«
Ob sie den lauernden Unterton bemerkt hatte?
Ihr Gesicht verschloss sich. Vielleicht war er zu weit gegangen in seinem Trachten, sie auszuhorchen.
»Ich will doch nur wissen, ob es genügend Menschen gibt, die dir wohlgesinnt sind.«
Ich will doch nur wissen, war sein wahrer Gedanke, ob jemand bereit ist, dir eine Mitgift zu geben … eigenes Land, damit du heiraten kannst.
»Warum fragst du?«, wollte sie wissen.
»Ist es nicht verständlich, dass sich ein Mann um eine junge Frau sorgt – so liebreizend, wie du eine bist?«
Ihre Miene gefror. »In meinem Leben ist vieles wichtig gewesen … Liebreiz nicht«, sagte sie, und ehe er widersprechen konnte, fuhr sie fort: »Ich habe einmal mit dir getanzt, Johan, aber nur weil du meine Bitte erfüllst und mich von Rouen fortbringst, werde ich kein weiteres Mal mit dir tanzen. Nie wieder.«
Sie ritten schweigend weiter. Er bedrängte sie nicht länger, aber in ihm wuchsen Zweifel.
Es muss an dem Mönch liegen, dachte er, dass sie sich so spröde verhält.
Er war doch jung und kräftig, sie war jung und schön. Es gab keine anderen Bewerber, was also stand der Hoffnung, dass sie eine gemeinsame Zukunft haben könnten, entgegen? Das Leben war doch so einfach, konnte es zumindest sein … in einer Welt, in der am Hof eines Grafen Krieger dienten … keine Mönche.
Er kniff die Lippen zusammen und unterdrückte ein ärgerliches Grollen.
Ja, manche Dinge waren unvermeidbar, und es galt, sich ihnen zu fügen – aber dazu gehörte nicht, sich von einem Mann Gottes eine junge Frau abspenstig machen zu lassen. Und in dem fremden Land verhieß nicht vertraute Ordnung, vielmehr ärgerliche Verwirrung, dass es einen Grafen gab, der lieber Männer des Gebetes um sich scharte als Männer des Kampfes.
Eines Tages kriege ich dich doch, Mädchen, dachte er. Eines Tages wird der Mönch bezahlen.
Graf Wilhelm verließ stets früh die Bettstatt, und sein erster Weg führte für gewöhnlich in die Kapelle zum Morgengebet. Nur selten hingegen hatte es einen Grund gegeben, noch bei dunkelster Nacht aufzustehen, herrschte in der Normandie doch seit Jahren Frieden. An diesem Tag jedoch hatte Wilhelm das Gebet bereits aufgeben müssen, kaum dass er sich niederkniete. Ein Bote, der die Heiligkeit der Räume nicht achtete, erstattete beunruhigende Nachrichten.
Arvid, der sich wie so oft zu dieser nachtschlafenden Stunde an Wilhelms Seite befand, las in seiner Miene erst Verdruss über die Störung, dann, als ihm die Folgen jener Nachricht aufgingen, wachsenden Schrecken.
Der Bote hatte sich nach den ersten lauten Sätzen darauf verlegt, Wilhelm die Nachricht vertraulich ins Ohr zu raunen. Arvid verstand kein Wort davon, und Wilhelm sagte nichts dazu, sondern erhob sich nur schweigend und verließ die Kapelle hastigen Schrittes. Die übrigen Mönche, darin geübt, sich den Belangen der Welt blind zu stellen, blieben knien und beteten weiter, doch Arvid fand keine Ruhe und folgte dem Grafen. Es waren nicht nur Sorge und Neugier, die ihn trieben. Schon seit Tagen fand er kaum Schlaf. Er wurde beim Gebet von Unrast gepackt, von Scham und schlechtem Gewissen und nicht zuletzt von Wut, weil er mit all diesen Gefühlen allein war. Er hätte sie gern mit Mathilda geteilt, aber Mathilda war fort, zurück nach Bayeux gekehrt, ohne noch einmal das Gespräch mit ihm zu suchen. Und ihm war nichts anderes übrig geblieben, als die einsame Entscheidung zu treffen, dass er sich – falls er den Grafen in naher Zukunft dorthin begleiten musste – künftig von ihr fernhalten würde, diesmal nicht, weil er es so wollte wie in den letzten Jahren, sondern weil es offenbar ihr Wunsch war. Läge ihr etwas an ihm – sie wäre nicht überstürzt geflohen, hätte ihn nicht ganz allein den Erinnerungen der Nacht überlassen, vor allem hätte sie nicht ausgerechnet den dreisten, tumben Krieger Johan zu ihrem Begleiter erwählt. Letzteres kränkte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.
Es war noch dunkel, als er durch den Hof schritt, doch die Menschen, denen er begegnete, waren nicht schlaftrunken wie sonst. Die Neuigkeit, die der Bote überbracht hatte, musste sich schnell herumgesprochen haben.
»Was ist passiert?«, fragte er einen der Wachtposten.
»Alle Großen der Normandie sind drinnen im Saal
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