Kinder des Feuers
seine Berührungen so leidenschaftlich gewesen waren, seine Blicke so hungrig?
In jedem Fall war das, was sie getan hatten, vom Höchsten gesegnet und keine Sünde, wie sie sie selbst begangen hatte. Gestern hatte sie sich nicht als solche angefühlt – aber heute malte sie sich die Gesichter der Nonnen aus, von denen sie gelernt hatte, Gut und Böse zu unterscheiden. Die Äbtissin hätte ihren Blick gewiss voller Tadel auf sie gerichtet, wenn sie denn noch lebte und die Untat bezeugt hätte, die Magistra den ihren voller Abscheu, Maura ihren voller Befremden.
Sie presste die Arme über der Brust zusammen, als könnte sie sich dahinter verstecken, und hob den Blick gen Himmel. Der Tag war schon älter, als sie vermutet hatte. Doch die Sonne strahlte nicht über allem, sondern wurde von einer milchig weißen Wolkenwand gebannt. Mathilda betrat rasch das Haupthaus.
Gerloc, war sie sich sicher, würde nicht grau und müde sein, Gerloc würde strahlen, würde rote Backen und fiebrig glänzende Augen haben. Ob sie sie stören durfte im Brautgemach, ob Wilhelm Werghaupt noch bei ihr war?
Doch Männer wie er verbrachten die Nächte mit ihren Frauen, nicht die Tage.
Als sie die Kemenate erreichte, stand die Tür weit offen. Gerloc saß allein auf dem breiten Bett. Sie hatte alle Mägde weggeschickt und wollte auch sie wegschicken.
»Geh!«, rief sie, ohne aufzublicken. »Lass mich allein!«
Mathilda ging nicht. Gerlocs Schultern hingen tief herab, das Kinn war nicht stolz gereckt, sondern auf die Brust gesenkt.
»Geh!«, rief sie wieder, und ihre Stimme zitterte.
»Gerloc …«, stammelte Mathilda.
Jetzt erst hob Gerloc ihren Blick. Jetzt erst sah Mathilda, dass sie weinte.
Sie hatte Gerloc noch nie weinen sehen, und noch mehr, dass diese es tat, bestürzte sie, dass das Schluchzen kaum mehr als ein Wimmern war. Sie, die stets aus voller Kehle gelacht hatte, weinte verhalten wie ein müdes, altes Weiblein, dessen Kummer zwar ehrlich ist, aber das keine Kraft besitzt, ihm Ausdruck zu geben. Aus dem Mund einer Frau, an der doch für gewöhnlich alles laut war, hörte sich dieses Weinen nicht nur erbärmlich, sondern irgendwie … falsch an.
Mathilda stürzte zu ihr. »Was ist geschehen? Ist es …«
Sie konnte den Satz nicht zu Ende sprechen und solcherart an jenem dunklen Schleier ziehen, der die Vertraulichkeiten der Hochzeitsnacht bedeckt und jene Stunden zu solchen macht, die dem Brautpaar ganz allein gehören. Sie vermutete Schreckliches – dass Wilhelm Werghaupt roh und herzlos seine Ehe vollzogen hatte –, doch Gerlocs Worte, die sie nach langem Schluchzen endlich stammelte, widersprachen dem. »Er ist ein guter Mann. Ich kann froh sein, seine Frau zu sein.«
»Aber du bist nicht froh«, stellte Mathilda fest.
»Wie soll ich denn glücklich werden … in der Fremde?«
Die Tränen versiegten. Gerloc sah sich im Zimmer um, der Blick so leer, als würde sie es gar nicht erkennen, als wähnte sie sich schon in ihrem neuen Heim in Poitiers, das sie sich zu wenig ausmalen konnte, um zu hoffen, dass sie sich darin eines Tages wohl fühlen könnte. Ja, sie wusste noch nicht, ob der Rauch des Kamins dort dicht hing und in der Kehle kratzte oder ob wohlriechende Öllampen mildes, warmes Licht verbreiteten, ob der Zugwind durch Ritzen pfiff oder die Mauern fest genug waren, um Stürme abzuhalten.
»Ich kenne dort keine Seele!«, stieß sie aus. »Und niemand wird mich mehr bei meinem Namen rufen. Für niemanden werde ich Gerloc sein. Gerloc klingt zu sehr nach Norden und Barbarei, er schickt sich nicht, dieser Name. Gerloc heißt die Tochter eines Nordmannes. Adela heißt die Gattin eines Franken.«
Mathilda ergriff ihre Hände. Sie waren rot und eiskalt. »Du wolltest doch immer eine Fränkin sein. Du wolltest, dass die Leute vergessen, wessen Tochter du bist, du wolltest an der Seite eines Franken leben. Und alle diese Wünsche werden dir nun erfüllt.«
Sie sprach energisch auf die andere ein, doch Gerlocs Züge blieben traurig und die Augen verquollen. »Ja, all meine Wünsche werden mir erfüllt. Aber nun frage ich mich: Wenn alles nicht mehr ist, was mein Leben in der Vergangenheit bestimmte, was bleibt dann überhaupt von mir? Wie soll ich mich freuen, wenn es mich dann nicht mehr gibt? Gewiss, wer hässliche, kratzende Kleidung trägt, sehnt sich danach, sie ablegen zu können, doch wenn er dies tut, ist er nackt und friert.«
Mathilda ahnte nun, was Gerlocs Schmerz bedingte – und konnte ihn doch
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