Kinder des Feuers
zusammengerufen worden«, erklärte der.
»Noch vor der Morgendämmerung?«
»Es gibt einen gewichtigen Grund …«
Arvid ließ den Mann stehen und betrat den Saal. Das Feuer, das im Kamin brannte, knisterte und spuckte Funken, doch sein Schein erhellte Wilhelms Gesicht nicht. Es wirkte grau, wie er da auf seinem Stuhl saß und den Mann betrachtete, der vor ihm auf dem Boden kniete. Arvid hob verwundert die Braue. Gewiss, es war nichts Ungewöhnliches, einen Mann vor dem Grafen knien zu sehen, jedoch, dass einer diese Haltung einnahm, dessen Waffen und Kleidung seinen hohen Rang bekundeten.
Der Mann begann zu klagen. »Schreckliches Unrecht ist mir geschehen, ich weiß nicht, an wen ich mich sonst um Hilfe wenden kann. Ihr seid der Einzige, der die Gerechtigkeit wiederherstellen kann.«
»Wer ist das?«, raunte Arvid einem Mann zu, der offenbar – seine tintenbefleckten Finger ließen darauf schließen – ein Notar war. Anders als die Krieger waren Vertreter seiner Zunft meist williger, mit Wilhelms Mönchen zu sprechen.
Tatsächlich wisperte er: »Herluin de Ponthieu …«
Arvid erinnerte sich vage daran, den Namen schon einmal gehört zu haben. Herluin war einer der Grafen in der Nachbarschaft der Normandie, nicht besonders mächtig, jedoch, wie der Notar zu erklären fortfuhr, in einen Konflikt mit einem wirklich Mächtigen geraten.
»Arnulf von Flandern gelüstet es seit längerem nach Herluin de Ponthieus Ländern. Kürzlich hat er dessen Burg bei Montreuil besetzt und außerdem den dortigen Hafen, Herluins wichtigsten Besitz.«
»Aber warum?«, fragte Arvid. »Flandern ist reich und groß.«
»Nun, offenbar trieb Arnulf nicht nur die Gier nach Land, sondern der Wunsch, Wilhelm eine Botschaft zu vermitteln. Wilhelm und Herluin gelten als Freunde, und der Hafen von Montreuil wird auch von uns Normannen genutzt. Arnulfs Angriff zeigt, dass Wilhelm sich seiner Sache nicht zu sicher sein sollte.«
»Welcher Sache?«
»Durch Gerlocs Heirat mit Wilhelm Werghaupt konnte der Eindruck entstehen, er sei endgültig im Kreise seiner fränkischen Nachbarn als ebenbürtiger Herrscher aufgenommen worden. Arnulf hält davon jedoch wenig – und Wilhelm nicht für einen guten Christen, sondern für den Sohn eines Heiden. Solchem ist man nicht zur Treue verpflichtet.«
Der Notar verstummte, indessen Herluin weiter klagte und schließlich um Wilhelms Hilfe bettelte. »Wenn Ihr nicht an meiner Seite gegen Arnulf in den Krieg zieht, muss ich ihm meine Grafschaft überlassen«, schloss er düster.
Gebannt ruhten nun alle Blicke auf Wilhelm. Im Schweigen, das folgte, schien das Feuer noch lauter zu knistern. Arvid las zwiespältige Gefühle in Wilhelms Gesicht. Da war Unwille, Überdruss, als würde er denken, was geht mich Ponthieu an. Wer zu schwach ist, sein eigenes Land zu schützen, verliert es, dies sind die Gesetze unserer Welt. Aber zugleich war da Empörung über den anmaßenden Arnulf, Entschlossenheit auch, seiner Pflicht nachzukommen – nicht nur der eines Grafen, der auf das Wohl des eigenen Volkes zu achten hatte, sondern der eines Christen, der stets der Hüter seines Bruders zu sein hatte, gleich, ob dieser stark war oder schwach.
Wilhelms Gesicht blieb grau, als er sich vorneigte, seine Stimme – sehr tief und nie sonderlich laut – ließ keinen Zweifel zu. »Ich werde Truppen nach Montreuil schicken und sie obendrein selbst anführen«, verkündete er.
Das letzte Holzscheit zerfiel im Herd zu Asche. Niemand der Versammelten legte nach, denn ihnen war warm genug: Ihre Gesichter waren nicht grau wie das Wilhelms, sondern rot vor Aufregung. Geruch nach Schweiß lag in der Luft, und ohne dass Arvid es wollte, pochte sein eigenes Herz schneller, angesteckt vom gehetzten Takt jener, deren Euphorie ihn ein wenig an die Lust erinnerte, die er in Mathildas Armen empfunden hatte.
Haben Liebe und Krieg etwa so viel miteinander gemein?, fragte er sich verwirrt.
Er war vom Krieg wie von der Liebe überfordert, wandte sich ab und floh hastig aus dem Saal. Erst drehte er einige Runden im Hof, dann, als sein Gesicht trotz der kühlen Morgenluft glühte, kehrte er zurück in die Kapelle, wo die anderen Mönche immer noch beteten und immer noch nicht wissen wollten, was geschehen war.
Drei Psalmen später betrat auch Wilhelm erneut das Gotteshaus. Dämmerlicht fiel mittlerweile durch die kostbaren Glasfenster. Sein Gesicht war nicht mehr grau jetzt, sondern bleich. Er hockte sich ausgerechnet neben Arvid –
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