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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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verschmolz mit dem Dunkel, aber die Schritte waren deutlich zu hören – Schritte, die näher kamen. Mathilda wähnte ihr Herz aussetzen, fühlte sich wieder von fremden Augen beobachtet, lief los – und lief direkt in eine Gestalt. Ehe sie aufschreien konnte, erkannte sie, dass dies kein Fremder war.
    »Mathilda!«
    Pfeifend entwich ihr der Atem. Gottlob war sie an einen geraten, von dem sie nichts zu fürchten hatte. Der sie an eine Stunde erinnerte, da ihr Leben nicht bedroht, sondern leicht und beschwingt gewesen war.
    »Johan!«
    »Was treibst du hier?«
    Sie traf ihren Entschluss sehr schnell. Sie musste fort von hier. Fort von Arvid. Fort von ihrem unsichtbaren Verfolger. Fort von einer Gerloc, die nicht mehr lauthals lachte, sondern weinte, und die solcherart bewies: Man konnte sich nicht einfach dafür entscheiden, ein neuer Mensch zu sein, ohne einen Preis dafür zu zahlen.
    »Bitte, Johan«, stammelte sie, »bitte, du musst mir helfen!«
    Johans Vater hatte ihm als Kind eingebläut, dass ein kluger Kopf sich manchmal zu ducken und sich manchmal in den eisigen Wind zu recken hatte und dass er seinem Instinkt trauen müsste, wann das eine geraten war und wann das andere. Johan hatte immer befunden, dass sein Vater ein kluger Mann war – nicht zuletzt, weil er den Mut bewiesen hatte, die dänische Heimat zu verlassen.
    Gewiss, als Johan noch ganz klein war, hatte sein Vater noch hingenommen, dass in Dänemark die Ernten schlecht, die Seen eisig kalt, die Wälder undurchdringlich waren. Schweigend hatte er ertragen, wie Johans Mutter und die noch kleineren Geschwister starben. Der Boden war zu gefroren, um sie tief zu begraben. Doch irgendwann hatte er die Trauer abgeschüttelt und verkündet, dass es nun genügte, dass er nicht auch noch ihn sterben sehen wollte und dass sie deshalb in den Süden ziehen würden – in jenes Gebiet des Frankenreichs, wo sich schon so viele Nordmänner niedergelassen hatten, wo das Getreide golden war und die Weinreben in leuchtendem Rot standen.
    Johan hatte rasch eingesehen, dass auch hier nicht immer alles golden oder leuchtend rot war – aber dass man sich gleichwohl auf ein unumstößliches Gesetz verlassen konnte: Wer energisch Widrigkeiten trotzte, dem winkte eine Zukunft, ganz gleich, welche Vergangenheit er hinter sich hatte. Die Schwachen gingen zugrunde, weil das Leben zufällig auf sie trat, und die Starken auch, weil sie den Kopf so hoch hielten, dass sie den ersten Hieb abbekamen. Aber wer ein wenig stark war und im rechten Moment auch ein wenig schwach – berechnend also, aber nicht tollkühn, entschlossen, aber nicht übereifrig –, der kam durch.
    Weil er sich daran hielt, war Johan ein guter Krieger: Er scheute das Blut nicht, aber er hatte keine Sehnsucht, darin zu baden. Er war dem Grafen treu, weil einer, der aus Dänemark stammte, hierzulande keinen anderen Herrn fand, aber hieß nicht blindlings alles gut, was dieser trieb. Irgendwann wollte er sein eigener Herr sein – nicht auf einer mächtigen Burg, nicht mit Unmengen an Dienern, so hochtrabend waren seine Ziele nicht. Eigenes Land würde ihm schon genügen, vorausgesetzt, dass es etwas größer und fruchtbarer als das seines Vaters in der dänischen Heimat war. Er würde sein Schwert niederlegen, Getreide anbauen lassen und Wein, und auch wenn das Getreide nicht immer golden stand und die Reben nicht immer glänzend rot waren, würde er ein gutes Leben führen, seine Frau auch, und seine Kinder würden nicht frühzeitig sterben.
    Noch hatte er weder Frau noch Land, aber als er mit Mathilda Richtung Bayeux ritt, wähnte er sich beidem näher zu kommen. Es war also doch richtig gewesen, den brodelnden Zorn zu schlucken, nachzugeben und den Mönch einfach stehen zu lassen, anstatt noch einmal auf ihn einzudreschen.
    Er hatte sich beherrscht – und wurde prompt belohnt.
    »Bring mich aus Rouen fort«, hatte Mathilda ihn angefleht, »egal wohin, nur so schnell wie möglich.«
    Er war erstaunt gewesen, hatte sie aber nicht nach ihren Gründen gefragt. Das tat er auch jetzt nicht, da sie schon eine Stunde miteinander ritten. Er wollte lediglich wissen: »Du standest Gerloc doch immer nahe, nicht wahr? Warum begleitest du sie nicht nach Poitiers?«
    »Sie wollte allein in ihr neues Leben gehen«, erklärte sie knapp.
    Er hatte ihr seinen weiten Umhang gereicht, aber sah, dass sie auch darunter fror.
    »Du stehst auch Sprota nahe, nicht wahr?«
    »Sie war immer gut zu mir. Sie hat mich aufgenommen, als

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