Kinder des Feuers
ihr aber im letzten Augenblick fernbleibt. Denk an Amiens.«
In Amiens hatte Arnulf auf seine Beinschmerzen verwiesen, die es ihm unmöglich machten, die letzte Wegstrecke zurückzulegen.
»Nun, um über den Fluss zu kommen, braucht er keine Beine, sondern ein Boot, und sieh nur!« Wilhelm deutete nach draußen. »Jenes Boot scheint sich gerade in Bewegung gesetzt zu haben. Ich sollte nicht länger auf ihn warten.«
Als Wilhelm das Zelt verließ und auf den Fluss zustapfte, versank auch er sofort im Schlamm, aber er achtete nicht darauf.
Arvid starrte auf den Fluss. Nebelschwaden stiegen hoch, vermochten jedoch nicht, die ferne Insel zu verhüllen – ein schmales Stück Land inmitten des braunen Wassers, nicht einmal mit kahlen Bäumen bewachsen, sondern nur von einigen dornigen Büschen überwuchert. Tatsächlich sah man ein Boot darauf zusteuern, wenngleich nicht genau, wer darin Platz genommen hatte.
»Und wenn es ein Hinterhalt ist?«, fragte Bernhard der Däne.
Wilhelm stand schon knietief im kalten Wasser. »Von hier aus habt ihr die Insel im Blick. Falls Arnulf mit mehr Kriegern kommt als abgesprochen, könnt ihr rasch eingreifen. Mein Leben liegt in Gottes Händen.«
Das hatte Arvid ihn schon oft sagen hören, doch als er sah, wie Wilhelm seinerseits ein Boot bestieg und dieses unter seinem Gewicht wankte, kam er ihm plötzlich unendlich verloren vor. Ja, der Graf wirkte so klein, der Fluss so feindselig, der Himmel so grau. Dahinter war nicht die Herrlichkeit Gottes zu erahnen, nur noch mehr Kälte und Nässe.
Als sich das Boot in Bewegung setzte, trafen sich ihre Blicke. Wilhelm lächelte auf flüchtige, leicht schmerzvolle Weise, wie er es so oft tat, wenn er Arvid, sein Spiegelbild in der Mönchskutte, ansah, doch das Lächeln erlosch rasch wieder. In seinem Blick stand plötzlich Unbehagen, das Arvid nicht deuten konnte. Vielleicht zeugte es von Furcht vor Arnulf. Oder einfach nur von Missmut, weil er über die Somme schippern musste, anstatt sich in ein Kloster zurückzuziehen, weil er seinem Land zu dienen hatte anstatt dem Heil seiner Seele.
Doch Wilhelm gab dem Unbehagen nicht nach. Er wandte sich ab und richtete seinen Blick auf die Insel.
Das Boot wurde immer kleiner, die dunstigen Schwaden verschluckten die Gestalt des Grafen nicht ganz, aber er schien im Grau zu zerfließen, war kein starker, großer Mann mehr, nur ein Schatten seiner selbst. Arvid wandte sich ab.
Drei Jahre waren vergangen, seit zwischen Wilhelm und Arnulf der Unfrieden begonnen hatte. Drei Jahre, da er Mathilda nicht gesehen hatte. Drei Jahre, da er oft frierend gewartet hatte – auf den Ausgang von Schlachten oder von Verhandlungen, die keinen Nutzen brachten, sondern nur zu neuen Schlachten führten. Krieger hielten sich mit Kämpfen warm, das Gebet hatte in ihm hingegen nie gleiches Feuer entfachen können.
Früher hatte Arvid sich als Gefangener Wilhelms gefühlt, jetzt war er sein eigener. Tage wie diese, da er frierend in eine Welt geworfen wurde, mit deren Ränkespielen er nichts zu tun haben wollte, nahm er als Strafe hin. Wofür er sich freilich strafte – ob für die Nacht mit Mathilda oder die Sehnsucht nach ihr –, wusste er nicht. In jedem Fall hatte er viel gebetet, für sich, für Wilhelm, für … sie, und auch jetzt begann er unbewusst die Verse eines Psalms zu murmeln.
»Ich sollte an seiner Seite sein …«, sagte Bernhard der Däne nicht weit von ihm.
»Er hat sich ausdrücklich gewünscht, dass nur gewöhnliche Krieger ihn begleiten«, antwortete jemand.
»Gleich erreicht das Boot die Insel. Gut, dass sie baumlos ist, so können wir alles sehen.«
Arvid hob wieder seinen Kopf. Die Schleier aus Nebel und Dunst schienen sich zu verflüchtigen. Dahinter war nicht nur Wilhelms Gestalt zu erahnen, sondern auch die von Arnulf, der seinerseits in Begleitung einiger Krieger anlegte. Es dauerte lange, bis er das Boot verlassen hatte, und als er endlich festen Boden betrat, wankte er. So war es denn entweder die Wahrheit, dass er nicht gehen konnte, oder ein ausgezeichnetes Schauspiel. Ohne Frage wirkte er ziemlich alt.
Das also war der Mann, der Wilhelm so viele Sorgen gemacht und so viele schlaflose Nächte gebracht hatte. Der Mann, der Montreuil besetzt, dank Wilhelms Truppen von dort verjagt wurde und sich danach lange Zeit rasend vor Zorn geweigert hatte, einem Waffenstillstand zuzustimmen.
Allerdings verliert selbst der glühendste Racheschwur an Macht, wenn drei Jahre ohne Sieg und mit zu
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