Kinder des Feuers
ebenfalls wortkarg, und so blieb es Arvid überlassen, die Ereignisse auszuschmücken. Offenbar war man überzeugt, dass ein Mann Gottes es besser vermochte, dass Schreckliche in Worte zu fassen, obwohl oder gerade weil sich Worte als trügerisch erwiesen hatten: Arnulf hatte den Frieden versprochen, aber einen Mord geplant.
»Wo ist er jetzt?«, fragte Sprota, nachdem er geendet hatte.
Arvid starrte sie verwirrt an. Er fürchtete kurz, sie habe den Verstand verloren. Wilhelm war tot, hinterhältig ermordet – hatte sie das nicht verstanden und hoffte sie nun, er würde jeden Augenblick den Saal betreten?
Er musterte sie eindringlich. Sie wirkte sehr klein und schmal. Zwei Jahre zuvor war das Gerücht herumgegangen, dass sie ein zweites Kind bekommen würde, doch entweder war es nur erfunden gewesen, oder sie hatte das Kind verloren. Richard war der einzige Sohn geblieben … und nun war er der einzige Erbe.
»Was meinst du?«, fragte er verwirrt.
»Ich meine, wo ist sein Leichnam jetzt?«
Also hatte sie doch nicht den Verstand verloren, sondern wusste, dass der Tod endgültig war. Ihm selbst fiel es schwer, das zu begreifen. Auf dem Ritt nach Bayeux hatte er viel gebetet und den Gefährten vermisst, der mit dem Wissen lebte, dass alles, was er tat, nur etwas Vorläufiges war, nicht das Eigentliche – so wie er.
Seine Stimme brach, als er antwortete: »In Rouen.«
Er fügte nichts hinzu, und auch die anderen ließen es offen, ob Sprota dorthin aufbrechen und am Begräbnis teilnehmen durfte.
Doch sie schien etwas anderes ungleich mehr zu beschäftigen. »Starb er … leicht?«, fragte sie. »Ich meine, starb er … schnell?«
Arvid zögerte. Die Attentäter hatten Wilhelm ohne zu zaudern niedergestreckt, er hatte sich nicht im Geringsten wehren können. Doch was war ein schneller Tod? Einer, der ein Leben in einem Atemzug auslöschte? Oder nicht vielmehr ein Tod, den man nicht kommen sah?
Nun, Wilhelm hatte genau erfasst, was vor sich ging – zumindest hatte das einer der Krieger, die die schaurige Tat vom Boot aus beobachtet hatten, so berichtet.
»Wir kennen die Namen der Attentäter«, schaltete sich Bernhard der Däne ein. »Sie heißen Eiricus, Bauce, Robert und Ridulfus.«
Sprota musterte ihn nur flüchtig. »Starb er schnell?«, fragte sie, wieder an Arvid gewandt.
Er zuckte die Schultern. Wie unsinnig, die Namen der Mörder zu nennen. Als ob ein Todesstoß mehr oder weniger Gewicht hätte, ob er nun von einem gesichtslosen oder bekannten Feind geführt wurde!
Doch Bernhard ließ nicht vom Thema ab. »Der, der den tödlichen Hieb ausführte, war Bauce.« Er hielt kurz inne. »Und Wilhelm blieb noch Zeit für letzte Worte. ›Oh, welcher Verrat!‹, rief er.«
Sprota nickte. Wahrscheinlich ahnte sie, die Wilhelm kannte, dass es Bestürzung war, die er empfunden haben musste, als er am eigenen Blut erstickte – Bestürzung, dass andere nicht seine Moral teilten.
Sprota – gewiss erregt über den gemeinen Mord und tief getroffen von der Nachricht, dass der Mann nicht mehr lebte, dessen Konkubine sie war – war jedoch nicht überrascht. Nicht nach all den Jahren, da er wieder und wieder zum Kampf ausgerückt war. Wäre er Mönch geworden, wie er es insgeheim gewünscht hatte, er würde noch leben. Doch wäre er Mönch geworden, dann hätte Sprota die letzten Jahre nicht an seiner Seite verbracht.
Ein anderer Krieger schaltete sich ein – Osmond de Cent-Villes. Bis jetzt hatte er mit erstarrter Miene gelauscht, nun brach aus ihm hervor: »Arnulf ist nach dem Attentat Richtung Norden aufgebrochen. Noch gab es keine Möglichkeit, ihm zu folgen, aber die Strafe wird ihn ereilen. Er darf nicht damit davonkommen. Er darf …«
Er verstummte, denn eben wurde Richard in den großen Saal gebracht. Der Knabe, nunmehr zehn Jahre alt, war größer, als Arvid ihn in Erinnerung hatte. Sein Haar ringelte sich nicht mehr in Locken um den Kopf, sondern fiel glatt herunter bis zum Kinn, seine braunen Augen waren nicht mehr ganz so rund und groß. Er war kein Kind mehr, aber auch kein Mann, alt genug, um zu verstehen, was geschehen war, viel zu jung, um seinen Vater rächen zu können. Zu jung auch, um ein würdiger Erbe zu sein …
Wie sah die Zukunft der Normandie jetzt nur aus?
Arvid stellte sich die Frage zum ersten Mal – doch jeder Gedanke daran verstummte sofort, als er die Frau erkannte, die Richard in den Saal gebracht hatte.
Mathilda.
Er starrte sie an. Sprota war schmaler geworden, Richard
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