Kinder des Feuers
älter – sie jedoch … war unverändert. Sie war die nur vermeintlich zarte, in Wahrheit aber zähe Frau, mit der er durch den Wald geflohen war, die Frau, mit der er sich lustvoll auf dem Boden einer Kammer gewälzt hatte, so unnahbar und schroff zuvor, so zärtlich und weich sodann, die Frau, die mit jenem Krieger, Johan, fortgeritten war, anstatt mit ihm zu sprechen und mit ihm zu entscheiden, ob das, was sie getan hatten, Sünde oder Liebe war.
In den letzten Jahren hatte der Gedanke an sie Scham oder Sehnsucht erzeugt, doch das erste Gefühl, das nun in ihm hochstieg, war Zorn. In seiner Trauer um Wilhelm war Zorn das Einzige, das ihren Anblick erträglich machte. Wobei er ihn, genau betrachtet, nicht ertragen wollte. Desgleichen nicht Richards Anblick, der erst noch gefasst wirkte, dann – ausgerechnet, als er den Blick seiner so beherrschten Mutter suchte – in Tränen ausbrach.
Mathilda weinte nicht, aber sie erblasste. Wegen Wilhelm? Seinetwegen?
Er wollte es nicht wissen.
»Ich werde für die Seele unseres Grafen beten«, verkündete er mit belegter Stimme – ahnend, dass die Stille der Kapelle weder seine Trauer beschwichtigen konnte noch seinen Zorn. Er stürmte an ihr vorbei davon.
Drei Jahre lang war Mathilda nicht in Rouen gewesen, nun erlebte sie wieder, wie Menschen in den engen Gassen zusammenströmten, wie Sprota von allen offiziellen Feierlichkeiten ferngehalten wurde, wie der kleine Richard ohne Mutter und diesmal sogar ohne Vater die Kathedrale betrat. Damals war eine Hochzeit gefeiert worden, jetzt ein Begräbnis. Die Hochzeit von Gerloc war laut und bunt gewesen, das Begräbnis still und grau.
Eisiger Wind pfiff durch die Kathedrale, als für Wilhelms Seelenheil gebetet wurde und als Richard vom Erzbischof von Rouen Mantel und Lanze empfing, beides Zeichen seiner neuen Würde – der des Grafen der Normandie.
Zumindest hofften alle, er möge dies fortan sein und sich als solcher würdig erweisen. Die Menschen wurden später nicht müde, sich zu erzählen, wie mühelos er die neue Last vermeintlich zu tragen verstand, zuckte er doch während des ganzen Gottesdienstes kein einziges Mal mit der Wimper, weinte nicht offen um seinen Vater. Er sei reif für sein Alter, sagte man, und ließ unausgesprochen, dass sein Verhalten an diesem Alter nichts änderte. Trotz allem war er kaum mehr als ein Knabe, und wenn sein Volk diesen Knaben auch liebte und respektierte und inständig für ihn betete – kein Wunder der Welt konnte bewirken, dass er über Nacht erwachsen wurde und nicht nur von den Normannen, sondern auch von deren Nachbarn als rechtmäßiger Erbe seines Vaters betrachtet wurde.
Nach ein paar Tagen war die Zeit der Trauer vorbei, und es galt, vernünftig zu überlegen, was zu tun war. Ein Rat war gebildet worden, Botho darunter, Richards Pate, der den Jungen nach Wilhelms Tod von Bayeux nach Rouen gebracht hatte, natürlich Bernhard der Däne, der mächtigste von Wilhelms Beratern, außerdem die Herren de la Roche Tesson und Briquebec, und Osmond de Cent-Villes, jener Krieger, der künftig über die Sicherheit des Knaben wachen würde.
All diese Männer, so sprach sich herum, schworen erst Richard die lebenslange Treue und dann sich gegenseitig Beistand. Ihnen musste klar sein, dass dies nicht genügte, dauerhaft seine Macht zu sichern – die Treueschwüre, auf die es ankam, waren die der Nachbarn der Normandie, und die blieben aus. Es waren nichts weiter als leere Bekundungen zu hören, wie empört man über Wilhelms gewaltsamen Tod sei. Vielleicht war die Empörung ehrlich. Doch gewiss mischte sie sich mit der Berechnung, dass nach des Grafen Tod – ob ungerecht oder nicht – einem Stück Land ein Herrscher fehlte, zumindest einer, der es notfalls mit Lanze und Schwert voranreitend gegen mächtige Feinde verteidigen könnte.
Mathilda blieb in jenen Tagen an Sprotas Seite und war nicht sicher, was sie fühlen sollte. Obwohl ihr Wilhelm immer fremd geblieben war, hätte sie Sprotas Trauer geteilt, vorausgesetzt zumindest, dass jene sie zeigte. Doch sie gab sich beherrscht wie immer, bekundend, dass etwas, womit sie stets gerechnet hatte, sie nicht erschüttern konnte und dass man damit rechnen musste, dass ein Herrscher von Feinden gefällt wurde. Richard wiederum hatte Mathilda in den letzten Jahren ins Herz geschlossen. Sie bedauerte den Knaben, weil er seinen Vater verloren und diese schwere Last – die Normandie zu beherrschen – aufgebürdet bekommen hatte, aber
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