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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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vielen Toten vorübergehen.
    Eben sprang auch Wilhelm an Land – gewandteren Schrittes als Arnulf, aber mit gebeugtem Rücken.
    »Warum tut er das denn nur?«, fragte Bernhard erbost.
    Arvid begriff nicht gleich, was er meinte, sondern brauchte eine Weile, um aus der Ferne zu erkennen, dass Wilhelm die Insel allein betrat, dass seine Krieger im Boot blieben. Offenbar wollte er Arnulf beweisen, dass er es ehrlich meinte mit dem Frieden.
    Arvid glaubte ihm das – Wilhelm war stets der Erste, der gern die Waffen ruhen ließ und sie nur deshalb immer wieder neu erhob, weil er wusste, dass die Hoffnung auf etwas nicht immer reicht, es zu bekommen.
    Warum aber machte ihn die Hoffnung gerade an diesem Tag so leichtfertig?
    Arvid spürte, wie unter den wartenden Männern die Anspannung wuchs. Er selbst trat unwillkürlich näher ans das Flussufer heran, obwohl er tief im Schlamm versank. Kälte erfasste ihn, die nicht von Winter, Nebel und Feuchtigkeit rührte, sondern von einer Vorahnung.
    Er starrte auf Arnulf und auf Wilhelm. Erst redeten sie ruhig miteinander, dann schienen sie sich zu umarmen. Kein Wort drang zu ihnen, doch der Nebel lichtete sich mehr und mehr und mit ihm die graue Wolkendecke. Ein Sonnenstrahl kämpfte sich hindurch, unerwartet kräftig und wärmend. Er tauchte die ferne Szenerie in ein helles, freundliches Licht.
    Arvid hob den Blick zum Himmel. Vielleicht war seine düstere Ahnung nur eine Täuschung, vielleicht würden noch mehr Sonnenstrahlen sie wärmen, vielleicht wurde gerade eben der Friede geschlossen.
    Doch dann hörte er Schreie, durchdringend und panisch, aus vielen Kehlen gleichzeitig. Bernhard der Däne schrie, die anderen Berater des Königs, seine Krieger.
    Das Licht der Sonne war nicht mehr warm, sondern einfach nur grell. Es fiel auf ein zweites Boot, das plötzlich an der Insel anlegte, und auf vier Männer, die heraussprangen, diese nicht, um den kranken Arnulf zu stützen. Sie trugen weite Mäntel und unter den Mänteln Lanzen.
    Auch aus Arvids Kehle brach jetzt ein Schrei und war doch nutzlos. Nichts konnten sie tun, um einzugreifen, als diese Männer ihre Lanzen gegen Graf Wilhelm erhoben.
    Arvid glaubte zu spüren, wie sie seine eigene Haut zerfetzten, immer tiefer ins warme, noch pulsierende Fleisch drangen, das Herz, den Sitz von Leben und Seele, trafen. Seit dem Tag, als Wilhelm ihm erlaubt hatte, nach Jumièges zu gehen, und er abgelehnt hatte, hatte sich das Band zwischen ihnen gefestigt, doch Arvid hätte den Grafen nie als seinen Freund bezeichnet. In den Nächten einsamen Gebets waren sie sich nahegekommen, aber das hatte nie etwas daran geändert, dass der eine der Mächtige blieb, der andere sein Untertan.
    Erst jetzt, als er Wilhelm hilflos sterben sah, war er weit mehr als nur ein Freund. Er war ein Bruder. Ein Bruder im Geiste. Und erst jetzt empfand es Arvid als Versäumnis, dass sie meist nur schweigend gebetet hatten und nie darüber gesprochen – über den Kampf gegen die Dämonen, den sie als Söhne von Heiden, die Christen sein wollten, zu führen hatten.
    Als Wilhelm leblos zusammenbrach, schob sich eine Wolke vor die Sonne und tauchte Arvids Welt in Dunkelheit.
    Arvid war dabei, als man den Toten von der Insel holte und in einen Sarg bettete. Die Männer teilten sich auf – die einen brachten den Leichnam nach Rouen, die anderen, so wie er, ritten nach Bayeux und überbrachten Sprota die traurige Nachricht. Solange Wilhelm gelebt hatte, hatten die Männer in seinem Gefolge Sprotas Existenz gern verschwiegen – jetzt, da er tot war, teilten sie die Trauer mit ihr.
    Jene Trauer fiel bei Sprota leise aus. Wie Arvid schon gedacht hatte, wahrte sie die Fassung. Sie nahm die Menschen hin, wie sie waren, und Gleiches galt auch für die Welt, die nun mal grausam war.
    Arvid war später nicht sicher, warum ausgerechnet er zu jenen gehörte, die nach Bayeux ritten. Womöglich hatte es Bernhard der Däne so entschieden, der nach Wilhelms Tod sämtliche Befehle ausgesprochen hatte, so auch jenen, der verhinderte, dass die Krieger die Somme überquerten und Jagd auf Arnulf machten. Es wären ja doch zu wenige Boote gewesen, um sie alle aufzunehmen, und bis sie das andere Flussufer erreicht hätten, wären Arnulf und die Seinen längst geflohen wie gemeine Diebe in der Nacht. Nein, dies war nicht die Gelegenheit, das Attentat zu rächen.
    Sprota lauschte den Augenzeugen mit stoischer Miene. Bernhard hatte sich auf einige wenige Sätze beschränkt, die anderen waren

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