Kinder des Feuers
ließen es sich nicht anmerken.
Krieg bedeutete zu kämpfen, Friede bedeutete zu warten. Und nun warteten sie schon seit vielen Stunden, obwohl manch einer zweifelte, dass der Friede, der an diesem Tag geschlossen werden würde, ein echter wäre oder nicht vielmehr nur ein kurzes Durchatmen vor weiteren Kämpfen.
In jedem Fall war es ein hoffnungsvolles Zeichen, dass Wilhelm von der Normandie und Arnulf von Flandern sich hier am Fluss trafen – ein Ort, an dem häufig eine Verhandlung geführt oder ein Waffenstillstand geschlossen wurde.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte Arvid schon einmal an einem Fluss gestanden, gewartet und gefroren – damals nicht an der Somme, sondern an der Meuse. Frieden geschlossen hatten an diesem Tag König Otto und König Ludwig, die sich ob ihrer Ansprüche auf Lothringen überkreuzt hatten, und Wilhelm war als wichtiger Vermittler aufgetreten, der die beiden daran gemahnt hatte, dass sie sich einen Krieg letztlich nicht leisten konnten.
Das heißt Frieden, dachte Arvid damals wie heute. Nicht der Sehnsucht nach einem Leben ohne Waffenlärm nachzugeben, sondern der nüchternen Einsicht, dass man manchmal nicht die entscheidenden Mittel hat, um zu siegen, und sich darum mit Worten begnügen muss, von denen jeder weiß, dass sie schon morgen Lügen sein könnten.
Am besten wusste das Wilhelm selbst. Sein Gesicht war faltiger geworden, sein Blick stumpfer, sein Gang steifer. Nachdem er den Frieden zwischen Ludwig und Otto vermittelt hatte, war ein triumphaler Einzug in Laon gefolgt, bei dem die Menschen nicht nur den gekrönten Häuptern, sondern auch dem Grafen der Normandie zugejubelt hatten. Franken, Sachsen und Normannen hatten gemeinsam Met getrunken – und da ihre Sprachen einander glichen, hatten die Normannen die Witze der Sachsen besser verstanden und lauter darüber gelacht.
An diesem Tag lachte niemand. Auf den Waffenstillstand würde kein triumphaler Einzug folgen. Niemand würde vor den Pferden der Herrschenden Kränze schwenken, und die Frauen würden sich zur Feier des Tages keine bunten Bänder ins Haar flechten. Dieser Waffenstillstand war so grau und kalt wie der Wintertag und die beiden Widersacher nicht vom Wunsch nach einer besseren Welt getrieben, sondern einfach nur zu müde, um sich weiterhin zu befehden.
Arvid spürte ob der Kälte seine Füße kaum noch und trat näher an das Zelt, das hier am Abend zuvor für Wilhelm aufgestellt worden war. Er hatte nicht geschlafen, sondern gemeinsam mit Arvid gebetet – und jetzt hielt er eine Unterredung mit Bernhard dem Dänen. Jener hatte in den letzten Tagen schon öfter an dem Waffenstillstand gezweifelt und tat es auch jetzt.
»Ich verstehe nicht, warum sich Arnulf auf der Insel in der Mitte des Flusses mit dir treffen will – warum setzt er nicht einfach zu uns ans Ufer über?«
»Die Insel ist ein neutraler Ort«, erwiderte Wilhelm. »Alles andere würde als Zeichen von Schwäche ausgelegt.«
»Aber er hat sich als schwach erwiesen! Nachdem du dich auf Herluins Seite geschlagen hast, konnte er das Ponthieu nicht länger für sich beanspruchen.«
»Und deswegen ist er bereit, vor mir Demut zu zeigen – aber nicht vor meinen Kriegern.«
»Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er wirklich kommen wird.«
In den letzten Monaten waren schon mehrere Treffen von Wilhelm und Arnulf geplant gewesen, um endlich einen Waffenstillstand auszuhandeln, aber immer wieder verzögert worden. Selbst wenn dieses zustande kam – die Rufe von draußen, die von einem Heer auf der anderen Seite des Ufers kündeten, ließen es hoffen –, es würde nichts daran ändern, dass Arnulf von Flandern Wilhelm hasste. Er hasste alle Nordmänner, denn in seinen Adern floss das Blut des Balduin Eisenarm. Jener hatte Jahrzehnte zuvor die heidnischen Scharen bekämpft, die Flandern heimsuchten, und sich einen Ruf als großer Krieger erworben, und auch wenn Wilhelm kein Heide war und nicht nach Flandern trachtete, war der Krieg, den er gegen ihn führte, Arnulf gerade recht gekommen, um sich als würdiger Erbe seines großen Vorfahren zu erweisen. Zumindest hatte er es drei Jahre lang versucht. Am Ende stand die bittere Erkenntnis, dass man sich im Kampf gegen die Nordmänner keinen Ruhm mehr erwarb, nur viel zu viele Krieger einbüßte – und obendrein die eigene Gesundheit: Arnulf von Flandern, so hieß es, litt an schmerzenden Beinen und hinkte.
»Ich traue ihm nicht«, murrte Bernhard. »Gut möglich, dass du die Insel betrittst, er
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