Kinder des Feuers
war. Arvid, der nun nach Wilhelms Tod wahrscheinlich nach Jumièges zurückkehren würde.
Mathilda verharrte noch vor der Kapelle, als mehrere Wagen in den Hof fuhren, gefolgt von einer Truppe Krieger, die laut und wild von ihren Pferden sprangen, den Stallknechten Befehle erteilten und sich umblickten. Der Akzent ihrer Sprache war fremd – vertraut hingegen der Anblick der Frau, die aus einem der Gefährte stieg, nachdem einer der Männer einen Schemel davor aufgestellt hatte.
Wie Mathilda kam sie zum ersten Mal seit drei Jahren wieder nach Rouen. Wie Mathilda dachte sie wohl an den Jubel, der damals geherrscht hatte: Gerloc, die jetzt Adela hieß, die zu spät eintraf, um dem Begräbnis des Bruders beizuwohnen, Gerloc, der ein rotgesichtiger Mann nun die Hand reichte – wahrscheinlich ihr Gatte Wilhelm Werghaupt – und die sich kaum umblickte, als hinter ihr eine weitere Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm das Gefährt verließ.
Mathilda trat näher. Jene Frau musste eine Amme sein, und das Kind, das Gerloc kaum ansah, der Sohn, den sie ihrem Mann geboren hatte. Wilhelm Werghaupt war breit und stämmig wie einst, sein Haar und sein Bart jedoch schütterer. Noch stärker als er hatte sich Gerloc verändert. Ihre Kleidung war erlesen, ihr Schmuck funkelte, aber ihr Mund wirkte schmal, als wäre er, nachdem sie ihn nicht länger zum Lachen brauchte, geschrumpft. Wahrscheinlich sprach sie auch weniger und aß kaum etwas, so spitz wie die Wangenknochen hervorstachen.
Sie ließ ihren gleichgültigen Blick über den Hof schweifen und sah dann Mathilda an. Mathilda, eben noch gewillt, auf die einstige Gefährtin zuzutreten und sie zu begrüßen, hielt inne.
Wortlos wandte sich Gerloc ab, ließ sich von ihrem Mann ins Innere der Burg geleiten und blickte sich kein weiteres Mal um – weder nach der Amme und dem Sohn noch nach Mathilda. Für eine Frau, der das eigene Fleisch und Blut fremd schien, bedeutete die Gefährtin von einst wohl noch weniger, dachte Mathilda. Doch als sie später in Sprotas Gemächer zurückkehrte, wartete dort eine von Gerlocs Mägden, um mit jenem fremd klingenden Akzent und auch ein wenig Verachtung, die allem Normannischen galt, zu verkünden, dass Gerloc … Adela sie zu sehen wünschte.
Die Kemenate, in der Mathilda Gerloc aufsuchte, war dieselbe wie die, in der die Schwester Graf Wilhelms einst ihre Hochzeitsnacht verbracht hatte. Unter Tränen hatte sie Mathilda am nächsten Morgen gefragt, wie es weitergehen sollte. Mathilda hatte es nicht gewusst, sondern war aus Rouen geflohen – vor ihrem gesichtslosen Widersacher und vor Arvid. Nun, jener Widersacher hatte seitdem nie wieder nach ihrem Leben getrachtet, in Fécamp und Bayeux war sie offenbar sicher vor ihm, und als die Jahre vergingen, hatte sie manchmal daran gezweifelt, ob ihre vagen Ahnungen und Erinnerungen sie nicht betrogen und sie nicht vieles falsch verstanden hatte, dass sie gar nicht die Erbin eines Reichs war, dessen Zukunft an ihr hing, und dass ihr auch keine unbekannte Frau … jene Hawisa … nach dem Leben trachtete.
An Arvid hatte sie öfter gedacht als an ihren Widersacher, aber Arvid wich ihr beharrlich aus. Gerloc hingegen empfing sie freundlich, wenn auch nicht überschwänglich, lud sie ein, sich zu ihr an den Kamin zu setzen, aber sagte dann nichts, gleich so, als wäre sie eine Fremde, die lediglich Höflichkeit verdiene, keine Vertraulichkeit.
Das Schweigen war nur für wenige Momente angenehm – zu vieles gab es dieser Tage zu ertragen, um sich überdies in Erinnerungen an die Gerloc von einst zu verlieren. Und im Schatten von Wilhelms Tod war es zu kalt, um sich vom behaglich knisternden Kaminfeuer einlullen zu lassen.
»Damals hast du große Angst gehabt vor der Zukunft in Poitiers«, sagte Mathilda deshalb unwillkürlich, auf jedes Geplänkel verzichtend. »Ich hoffe, du bist dennoch glücklich geworden.«
Gerloc sah an ihr vorbei und lächelte. Eine Weile war wieder nur das Knacken des Holzes zu hören, dann ihre Stimme, leiser als früher, aber fest. »Wie kommst du auf die Idee, ich hätte Angst gehabt?«
»Du bist dir nicht sicher gewesen, wer du warst, noch weniger, wer du sein würdest, und am allerwenigsten, wer du sein wolltest.«
Gerloc sah an Mathilda vorbei und lächelte. »Welch ein Unsinn!«
»Aber du hast geweint!«
Gerloc lächelte. »Welch ein Unsinn!«
Nun war es Mathilda, die sie nicht ansehen konnte, die stattdessen das Feuer fixierte.
»Gerloc …«
Kurz
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