Kinder des Feuers
darum, kein Glück anzustreben, sondern stattdessen Gemächlichkeit und Zufriedenheit, und beides war nur dann zu erreichen, wenn man sich dem Unvermeidbaren fügte.
Wenn ihr auch das rechte Gespür für Glücksempfinden fehlte, so wusste sie nun wenigstens, was Unglück bedeutete und wie es sich anfühlte, wenn Schmerz die Seele zerfraß und nicht bereit war, auch nur den kleinsten Bissen wieder auszuspucken.
Wilhelms Tod hatte sie irgendwie verwinden können. Wilhelm hatte nie wirklich ihr gehört, sie musste ihn mit seinem Land teilen und vor allem mit seinem Gott, der sich immer als besitzergreifender als sie erwiesen hatte. Aber das Schicksal raubte ihr nicht nur den Mann. Nun würde sie auch Richard verlieren, der einst ganz und gar ihr gehört hatte. Gewiss, seit er aus ihrem Leib gekrochen war, hatten andere über sein Leben entschieden, aber sie war immer in seiner Nähe gewesen – und das würde sich jetzt ändern. Selbst Männer, die sie bisher wohlweislich missachtet hatten, fühlten so viel Mitleid mit ihr, dass sie mit ihr die Pläne besprachen.
An den Plänen ändern konnte sie dennoch nichts.
Sie hatten sich im großen Festsaal versammelt – Botho darunter, Osmond de Cent-Villes, natürlich Bernhard der Däne, auch Arvid, der Mönch.
Eben schloss Bernhard seine Überlegungen ab, wie sie sich verhalten sollten, um Richards Erbe zu sichern. »Es ist eine schwierige Entscheidung, eine nahezu unmenschliche. Aber wir müssen sie fällen.«
Bernhard war ein Mann, der immer alt gewirkt hatte, doch in diesen Tagen schien mehr unsichtbares Gewicht als sonst auf seinen Schultern zu lasten. In seinen Zügen stand nicht mehr so viel Trauer wie unmittelbar nach Wilhelms Tod, aber Erschöpfung.
Er hob den Kopf und blickte Sprota direkt in die Augen, wie er es selten getan hatte. »Das siehst du doch ein, oder?«, fragte er.
Alles in Sprota schrie, aber ihre Lippen blieben versiegelt. Sie hatte zu schweigen gelernt – damals, als sie mit ihren Eltern die Heimat verlassen musste, als diese starben und sie schutzlos zurückließen, als sie Wilhelm kennenlernte und kurz bezaubert war von seiner Jugend und Stärke – so wie er von ihrer –, um wenig später festzustellen, dass jemand wie Wilhelm nie richtig jung gewesen war und sie auch nicht, weil sie beide zu früh erwachsen hatten werden müssen. Und er war auch nicht stark, nur pflichtbewusst, und sie war nicht stark, nur schicksalsergeben. Das einte sie, und es genügte, seine Konkubine zu werden. Es reichte nicht für mehr, nicht für Liebe.
Ein anderer protestierte an ihrer statt – Osmond, der jüngste der Männer, die hier zusammengekommen waren, und derjenige, der noch nicht gelernt hatte, Gefühle zu vertuschen. »Ludwig hat keine Anstalten gezeigt, Wilhelms Tod zu rächen und Arnulf zu strafen. Ausgerechnet er soll …«
Er brach ab.
Seit dem Begräbnis einige Wochen zuvor hatten sie darauf gewartet, dass der fränkische König gegen Arnulf vorgehen würde, aber bislang ließ er ihn ungeschoren davonkommen. Mittel, ihn zu zwingen, der Gerechtigkeit Genüge zu tun, hatten sie keine. Vor einigen Tagen schließlich war Ludwig überraschend nach Rouen gekommen und residierte nun im einstigen Haus des Bischofs.
Dorthin hatte er am Vorabend Richard eingeladen, den »jungen Grafen«, wie er ihn ganz selbstverständlich nannte. Als gutes Zeichen wertete das niemand, vor allem nicht, als er nach dem gemeinsamen Abendessen verlangte, Richard solle auch noch über Nacht bei ihm bleiben. Am nächsten Morgen, als Osmond de Cent-Villes vorstellig wurde, um den Knaben abzuholen und in die Thermen zum Bad zu bringen, lehnte der fränkische König dies schlichtweg ab. Es werde bestens für Richard gesorgt unter seinem Dach, beteuerte er, er habe genügend Dienstboten, die Tag und Nacht um sein Wohl besorgt seien. Im Übrigen müsse er darauf bestehen, dass Richard auch künftig sein Gast bleibe.
Wutentbrannt war Osmond zurückgekehrt. Er sprach als Erster aus, was alle dachten: Richard war nicht Ludwigs Gast, sondern sein Gefangener. Am liebsten hätte er sein Schwert erhoben, um ihn gewaltsam zu befreien.
Doch Bernhard, besonnen wie stets, hielt ihn davon ab. »Solange Ludwig den Schein der Gastfreundschaft wahrt, können wir die Herausgabe von Richard nicht erzwingen.«
Noch hatten sie da gehofft, es genüge, ein wenig guten Willen zu zeigen, auf dass sich alles zum Guten wende. Doch eben hatte Ludwig einen Boten geschickt, um ihnen einen Vorschlag zu
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