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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sich nicht vor die Ochsen? Warum reißt er sie nicht aus dem Wagen, schlägt sie zu Boden, nimmt sie gewaltsam, treibt ihr das Kloster aus?
    Nun, Arvid konnte es nicht, weil er ein Gottesmann war. Und er, Johan, konnte es auch nicht, obwohl er Krieger war.
    Er dachte lediglich darüber nach, malte es sich in der nächsten Stunde, da er sein Pferd doch antrieb und dem Gefährt folgte, immer wieder aus. Eigentlich wäre es ganz einfach gewesen. In seiner Heimat hatte man manchmal Frauen von fremden Sippen geraubt, wenn die der eigenen verhungert waren. Nur die beiden Mönche wären Zeugen, aber gegen ihn wären sie machtlos. Es war einsam auf den Straßen und den schmalen Wegen inmitten verschneiter Wiesen – niemand würde sie hier vor ihm beschützen können.
    Doch Mathilda war so arglos, dass er unmöglich zur Tat schreiten konnte.
    Als sie gegen Mittag rasteten, Dörrfleisch mit Brot aßen und Wein aus Schläuchen tranken, der nicht nur sauer, sondern auch bitter schmeckte, hockte sie sich zu ihm. »Hab Dank«, murmelte sie. »Du bist immer da, wenn ich dich brauche.«
    Sie meinte es ehrlich, und sein Zorn wuchs – diesmal nicht auf das fremde Land und wie sich hier die Menschen gebärdeten, sondern weil er selbst so verweichlicht war und sich nicht nahm, was er wollte, vielmehr von unerklärlicher Scheu im Zaum gehalten wurde. Er konnte nicht einmal sagen, was er dachte: Geh nicht ins Kloster, ich bitte dich, bleib bei mir, wir können gemeinsam leben, wir können es gut haben, wir können Kinder zeugen. Ich werde für dich sorgen, viel besser als mein Vater für meine Mutter sorgen konnte. Dies war der Grund, in die Fremde zu gehen. Damit ich gut für eine Frau sorgen kann, nicht, um diese Frau an einen fremden Gott zu verlieren.
    »Willst du wirklich ins Kloster gehen?«, fragte er stattdessen.
    »Es ist von jeher meine Bestimmung«, sagte sie schlicht.
    Sie erhob sich, verstaute den verbleibenden Proviant in einem Ledersäckchen an ihrem Gürtel.
    Wie gern er an diesem Gürtel gezerrt hätte, wie gern ihr das Kleid vom Leib gerissen. Doch sie fürchtete sich nicht davor, sie rechnete nicht damit, also konnte er es auch weiterhin nicht tun.
    Das Einzige, was er tun konnte, war, am Zügel seines Pferdes zu reißen, als das Gefährt sich wieder in Gang setzte. Anstatt ihm zu folgen, dirigierte er das Tier in die andere Richtung. Sollte ihr blasser, schwächlicher Gott sie doch auf dem Weg ins Kloster beschützen.
    Johan ritt so schnell davon, dass er die erstaunten Fragen nicht hörte, die ihm die Mönche und Mathilda hinterherschrien. Schon galoppierte er über einen Hügel, und als er sich umdrehte, war der Wagen nicht mehr zu sehen.
    Je näher er Rouen kam, desto lauter schrie sein schlechtes Gewissen. Er fühlte sich beobachtet, glaubte, Äste knacken zu hören, Schatten durch den Wald huschen zu sehen, vielleicht Geister, vielleicht Räuber. An ihm würden sie sich nicht vergreifen, er trug ein Schwert, aber jene Gottgeweihten waren eine leichte Beute.
    Erst als er in Rouen ankam, fiel das schlechte Gewissen von ihm ab. Stunden waren seit dem Aufbruch vergangen, aber Arvid stand immer noch vor der Kapelle, immer noch mit Sehnsucht im Blick, wohl immer noch voller Entschlossenheit, Mathilda nicht nachzugeben.
    Und obwohl Johan nicht wusste, was in Frauenköpfen vorging – es nie hatte wissen wollen –, war er überzeugt, dass Mathilda nicht einer lebenslangen Bestimmung folgte, sondern seinetwegen ins Kloster ging.
    Ich zahle es dir heim, dachte er, wie er es sich schon einst auf Gerlocs Hochzeit geschworen hatte, eines Tages zahle ich es dir heim. Er würde weder Mathilda noch Arvid je verzeihen, dass ihm das fremde Land fremd blieb.
    Die Mönche beteten, Mathilda nicht. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie in den ersten Jahren nach der Flucht aus Saint-Ambrose regelmäßig gebetet hatte. Irgendwann hatte sie damit aufgehört, nicht willentlich, eher aus Vergesslichkeit. Nicht vergessen hatte sie die Psalmen. Als sie hörte, wie die Mönche sie beteten, fielen ihr die Worte wieder ein. Doch es schien ihr wenig hilfreich, das Gemurmel, das Gottes Größe anpries und bestaunte, dieser lautlosen Welt entgegenzusetzen, einer Welt, die sie feindselig anmutete. Die Wege waren nicht tief verschneit, wie sie befürchtet hatten, sie versanken auch nicht in Morast, dennoch wuchs die Ahnung, dem Unheil direkt entgegenzuschreiten.
    Warum hatte Johan sie nur im Stich gelassen?
    Insgeheim wusste sie es, sein

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