Kinder des Feuers
zugleich tat es gut – all das nämlich an Arvid zu wittern und ihm ungleich bestimmter, ja schonungsloser und fordernder entgegenzutreten.
Er ging immer noch auf und ab, sie passte sich dem gehetzten Schritt an.
»Was ist es denn, was du in ihr Leben bringst – außer Verwirrung, Unschlüssigkeit und Schmerz?«, fragte sie.
Arvid blieb stehen. »Wilhelm hat mir schon vor Jahren angeboten, zurück nach Jumièges zu kehren. Ich habe es abgelehnt, um mich zu strafen. Nun frage ich mich, ob es nicht die größte denkbare Strafe ist, als Unwürdiger dort zu leben.«
Sie fragte nicht nach, was ihn unwürdig machte. »Du warst doch so etwas wie Wilhelms … Freund, nicht wahr? Lebe das Leben, nach dem er sich sehnte – damit ehrst du ihn am besten. Und führ zugleich den Weg zu Ende, den er nie selbst beschreiten konnte.«
»Ich hätte es bestritten, dass er mein Freund war, solange er lebte, aber jetzt, da er tot ist …«, er zuckte die Schultern. »Du hast mir noch nicht gesagt, was du nun tun wirst.«
Der gerechte Zorn zerfiel. Gedanken an das eigene Geschick stimmten sie so viel müder als die an Mathilda.
»Man hat mich halbherzig geduldet, als Wilhelm noch lebte«, sagte sie leise, »ohne Richard habe ich keinen Platz mehr bei Hof. Weder in Fécamp noch in Bayeux noch hier in Rouen. Wilhelm hat sich so viele Gedanken über seinen Lebensabend gemacht und wo er ihn verbringen könnte, über meinen hingegen nie.« Sprota hielt einen Moment inne. »Nun, anders als Mathilda steht mir kein Kloster offen. Ich fürchte, ich werde mir einen geeigneten Ehemann suchen müssen.«
Wahrscheinlich gab es genügend Männer, die es als Ehre empfanden, Wilhelms Konkubine zur Frau zu nehmen – zumindest unter jenen, deren Stand nicht sonderlich hoch und deren Vermögen nicht sonderlich groß war.
»Und wenn aus mir tatsächlich eine ehrbare Frau werden kann«, fuhr sie fort, »warum dann nicht aus dir ein guter Mönch und aus Mathilda eine gute Nonne? Was kannst du ihr bieten, was ein Leben in Abgeschiedenheit und ohne Schmerz aufwiegt?«
Was, dachte sie, was hatte Wilhelm mir zu bieten außer Nächte, nach denen er sich schämte, einen Sohn, der mir jetzt genommen wird, ein bequemes Leben, das immer nur Gnade war, nicht Anrecht.
»Vielleicht ist es tatsächlich besser für sie, wenn ich sie weiterhin meide«, murmelte er.
Sie fühlte seinen Schmerz ganz deutlich, und plötzlich überkam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn abhielt, für sein Glück zu kämpfen. Sie war nicht länger sicher, ob sie tatsächlich Mathilda schonte oder nicht vielmehr einer kleinlichen Rachsucht folgte, die den Falschen traf.
Doch als er sich abwandte und den Saal verließ, hielt sie ihn nicht zurück. Wenn er wirklich hätte kämpfen wollen, hätte er sich nicht so leicht von ihr ins Wanken bringen lassen. Wenn er wirklich an ein Glück glaubte, das beständiger wäre als ein warmer, bunter Sommertag, wäre er nicht beim ersten Lufthauch davongeflattert, sondern hätte mit entschlossenem Flügelschlag selbst einem Sturm getrotzt.
Bis zu dem Tag, an dem Mathilda ins Kloster aufbrach, erklärte sie oft überzeugend, wie sehr sie sich freue und wie sehr sie Gott für die Gnade danke, endlich das erstrebte Leben führen zu können. Doch ausgerechnet, als sie von Sprota Abschied nahm, überkam sie das Herzweh – obwohl oder gerade weil Sprota gefasst war.
Sie drückte Mathilda zwar an sich, aber ihr Gesicht glich nicht dem einer Frau, die ihre langjährige Gefährtin verlor, nachdem bereits der Geliebte gestorben war und sie erst am Tag zuvor den kleinen Richard hatte gehen lassen müssen.
Wenn sie nur eine Träne geweint hätte, wäre Mathilda umso lieber an einen Ort geflohen, wo dicke Mauern das Leid der Welt aussperrten, weil weder Leid noch Welt zählten. Nun perlten ihr selbst die Tränen über die Wangen. Nun deuchte sie das Kloster auf einmal nicht mehr als Zuflucht, sondern als das Gefängnis ihrer Kindheit.
»Wie schaffst du es?«, rief sie. »Wie schaffst du es, stets so gleichmütig zu bleiben?«
Endlich verdunkelte sich auch Sprotas Gesicht und spiegelte den Schmerz wider.
»Als ich gestern Richard gehen ließ, glaubte ich, sterben zu müssen«, bekannte sie mit heiserer Stimme.
Zutiefst überrascht von diesen Worten hörte Mathilda zu weinen auf. Sprota wandte sich ab. Im Augenblick größter Ehrlichkeit konnte sie ihrem Gegenüber nicht in die Augen sehen. »Ich weiß«, sagte sie, »man kennt mich als eine, die
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