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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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vorherige Lehrer umbringen wollte«, sagte Barnes, während sie eine Weide überquerten, auf der überall Schafe am Gras zupften, und sich einer flachen Geländewelle näherten, die bewachsen war mit Tannen und Gesträuch. Viele Sträucher, bemerkte er, waren angefressen worden; man sah etliche kahle Zweige, die anzeigten, daß hier eine größere Zahl von Mr. Trees Schafen versammelt sein mußte.
    »Ja«, bestätigte die Frau, die Hände beim Gehen in die Taschen geschoben. »Aber ich habe keine Ahnung, warum«, fügte sie rasch hinzu. »Jack ist ... eben ein Schafzüchter. Ich weiß, es ist verboten, Schafe auf Land zu halten, auf dem man etwas anbauen könnte ... Aber Sie sehen ja selbst, hier ließe sich nur ganz wenig anbauen, die Gegend besteht doch vorwiegend aus Canyons. Vielleicht war Mr. Austurias mißgünstig.«
    Das glaube ich ihr nicht, dachte Mr. Barnes. Doch sein Interesse war im Grunde genommen gering. Ihm lag allerdings daran, den Fehler seines Vorgängers zu vermeiden, wer oder was Mr. Tree auch sein mochte; wenn man von ihm sprach, hatte Barnes stets den Eindruck, als wäre dieser Mann ein Bestandteil der Umgebung geworden, nicht länger in vollem Umfang ortsveränderlich und menschlich. Diese Auffassung, die er von Mr. Tree hegte, erfüllte ihn mit Unbehagen; es war kein allzu vorteilhaftes Bild, das er sich von ihm machte. »Schade, daß Mr. Gill nicht mitkommen konnte«, sagte Barnes. Er war dem berühmten Tabakexperten, dessen Name ihm schon bekannt gewesen war, bevor er nach West Marin zog, noch immer nicht begegnet. »Hatten Sie nicht einmal erwähnt, daß es hier eine Musikgruppe gibt? Werden da irgendwelche Instrumente gespielt?« Weil er selbst einmal Cello gespielt hatte, besaß er daran erhöhtes Interesse.
    »Wir spielen Bänder ab«, antwortete Bonny. »Andrew Gill und Jack Tree gehören dazu. Und ich spiele Klavier. Wir hören alte Komponisten, zum Beispiel Henry Purcell und Johann Pachelbel. Ab und zu kommt auch Dr. Stockstill vorbei, aber ...« Sie verstummte und schnitt eine bekümmerte Miene. »Er hat soviel zu tun. Es sind so viele Dörfer, die er besuchen muß. Abends ist er meistens einfach zu erschöpft.«
    »Wäre es möglich, sich dieser Gruppe anzuschließen?« fragte Barnes hoffnungsvoll.
    »Was spielen Sie denn? Ich muß Sie warnen, wir befassen uns hauptsächlich mit alter und klassischer Musik. Wir sind nicht bloß irgendwelche Amateure, die drauflosmusizieren. George und ich und Jack, wir haben schon in den alten Zeiten Musik gemacht, vor der Katastrophe. Wir haben ... vor neun Jahren damit angefangen. Gill ist erst nach der Katastrophe zu uns gestoßen.« Sie lächelte, und Barnes sah, was für schöne Zähne sie hatte. Viele Menschen besaßen, weil in letzter Zeit verbreiteter Vitaminmangel und Strahlungskrankheiten geherrscht hatten, keine Zähne mehr, konnten sich nur noch des weichen Gaumens bedienen. Er selbst pflegte seine Zähne nach Möglichkeit zu verbergen; es stand nicht mehr sonderlich gut um sie.
    »Früher habe ich mal Cello gespielt«, sagte er, sich dessen bewußt, daß es sich dabei um eine überholte, wertlose Fähigkeit handelte, und zwar aus einem ganz einfachen Grund – heutzutage gab es weit und breit kein Cello mehr. Hätte er irgendein Instrument aus Metall zu spielen gelernt ...
    »Was für ein Jammer«, sagte Bonny.
    »Gibt es überhaupt keine Streichinstrumente in dieser
    Gegend?« Er war der Überzeugung, notfalls etwas anderes lernen zu können, etwa das Geigespielen; er würde es sehr gerne tun, wenn er sich dann der Musikgruppe anschließen dürfte.
    »Keine«, antwortete Bonny.
    Vor ihnen stand ein Schaf, ein schwarzgesichtiges Suffolkschaf; es sah sie an, tat dann einen Hüpfer, machte kehrt und lief davon. Ein Muttertier, sagte Barnes, ein großes, hübsches Vieh mit viel Fleisch an den Rippen und herrlicher Wolle. Er fragte sich, ob es wohl jemals schon geschoren worden war.
    Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Jahre war es her, daß er zuletzt Lammfleisch gegessen hatte.
    »Schlachtet er«, erkundigte er sich bei Bonny, »oder hält er sie bloß wegen der Wolle?«
    »Nur wegen der Wolle«, gab sie zur Antwort. »Er hat eine Phobie, was das Schlachten angeht, er macht's nicht, was man ihm auch bietet. Natürlich schleichen Leute hier herum und stehlen Tiere aus seiner Herde ... Falls Sie Lamm möchten, ist das der einzige Weg, um's zu bekommen, also sage ich's Ihnen lieber schon jetzt – die Herde wird gut bewacht.« Sie deutete

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