Kinder des Holocaust
Ernst. »Er pflegte eine köstliche Pilzsuppe zu kochen, aus Pfifferlingen und Speisetäublingen ... Er kannte sie alle. Werden Sie mich einmal zum Pilzessen einladen? Es ist schon so lange her ... Wir haben's selber mit dem Sammeln versucht, aber wie Mrs. Tallman erwähnt hat, ist's nicht gutgegangen ... es ist uns schlecht bekommen.«
»Hiermit sind Sie eingeladen«, sagte Barnes.
»Finden Sie mich attraktiv?« fragte sie ihn.
»Sicher, freilich, sicher«, nuschelte er verdutzt. Er klammerte sich fest an ihren Arm, als müsse sie ihn führen. »Wes halb fragen Sie?« hakte er nach, sehr vorsichtig, weil er in zunehmendem Maße eine tiefe Gefühlsregung verspürte, über deren Natur er im unklaren blieb; solche Empfindungen waren ihm völlig neu. Die Anwandlung ähnelte der Erregung, zeichnete sich gleichzeitig jedoch durch eine eher sachliche, vernunftbetonte Eigentümlichkeit aus, also war es vielleicht gar kein Gefühl; möglicherweise war es eine Art gesteigerter Bewußtheit seiner selbst, eine Art von unerwarteter Intuition in bezug auf die eigene Person und diese Landschaft, sämtliche Dinge, die man ringsum sehen konnte; alle Aspekte der Realität, so hatte es den Anschein, waren davon erfaßt, am meisten jedoch die Frau, Bonny Keller.
Innerhalb eines Sekundenbruchteils erkannte er die Tatsache – ohne daß ihm irgendwelche Informationen zur Verfügung gestanden hätten –, daß Bonny Keller mit irgendwem ein Verhältnis hatte, möglicherweise mit Gill, dem Tabakfachmann, oder Mr. Tree oder gar mit Orion Stroud; jedenfalls mußte es sich so verhalten, daß die Affäre vorbei oder doch beinahe vorbei war und sie nun einen neuen Liebhaber suchte. Sie suchte auf instinktive, praktisch gesonnene Art und Weise, nicht im kuhäugig-romantischen Stil eines Schulmädchens. Zweifelsfrei hatte sie schon etliche Verhältnisse gehabt; sie wirkte wie eine Expertin im Aushorchen von Männern darauf, ob sie zu ihr paßten.
Und ich? dachte er. Das ist die Frage, ob ich zu ihr passe? Ist diese Sache nicht gefährlich? Mein Gott, ihr Mann ist mein Vorgesetzter, der Schulleiter, sie hat selber davon gesprochen.
Doch vielleicht bildete er es sich nur ein, denn an sich kam es ihm nicht sehr wahrscheinlich vor, daß diese gutaussehende Frau, die in dieser Gemeinde etwas zu sagen hatte und ihn kaum kannte, ihn auf diese Weise anmachte ... So jedoch konnte man es auch wieder nicht sehen, sie machte ihn nicht an, sie verschaffte sich lediglich einen Eindruck von ihm; sie klopfte ihn gewissermaßen ab, und bis jetzt war noch keine Rede davon, daß er die Prüfung mit Erfolg bestanden hätte. Auf diese Einsicht hin machte sich sein Stolz bemerkbar, eine echte gefühlsmäßige Regung, und vermengte sich mit der sach lichen, rationalen Erkenntnis von vorhin; augenblicklich spürte er die Verzerrung seines Empfindens, die der Stolz verursachte: urplötzlich war ihm sehr daran gelegen, Erfolg zu haben, wollte er von Bonny Keller zum Liebhaber auserwählt werden, ganz gleich, welches Risiko damit einhergehen mochte. Dabei bewegten ihn nicht einmal Liebe oder sexuelles Verlangen; für so etwas war es noch viel zu früh. Nur sein Ehrgeiz regte sich in ihm, der Wunsch, auf gar keinen Fall übergangen zu werden.
Merkwürdig, dachte er. Er wunderte sich über sich selbst, über die Schlichtheit seines Innenlebens. Die Prozesse seines Inneren liefen kaum anders ab als bei irgendeiner niedrigen Lebensform, irgend etwas in der Rangordnung eines Seesterns; ein bis zwei Reflexe waren vorhanden, mehr nicht.
»Hören Sie mal«, fragte er, »wo steckt dieser Mann namens Tree denn nun?« Inzwischen lief er vor ihr und spähte voraus, richtete seine Aufmerksamkeit auf die Anhöhe mit ihren Tannen und Blütengewächsen, die vor ihnen lag. In einer dunklen Mulde bemerkte er einen Pilz und näherte sich ihm ohne Zögern. »Schauen Sie«, sagte er. »Den nennt man Austernpilz. Sehr wohlschmeckend. Und man findet ihn selten.«
Bonny Keller kam heran, um sich den Pilz anzusehen, und beugte sich über ihn. Er sah flüchtig ihre bloßen, hellhäutigen Knie, als sie sich neben dem Pilz ins Gras setzte. »Wollen Sie ihn pflücken?« fragte sie. »Und als Trophäe mitnehmen?«
»Mitnehmen werde ich ihn«, antwortete er, »aber nicht als Trophäe. Vielmehr werde ich ihn mit ein bißchen Bratfett in eine Pfanne tun.«
Ihre dunklen, anziehenden Augen hefteten den Blick ernst auf ihn; sie saß da und strich sich das Haar zurück, wirkte einen Moment lang,
Weitere Kostenlose Bücher