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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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als gedenke sie irgend etwas zu sagen. Doch sie schwieg. Schließlich verspürte er Unbehagen; anscheinend wartete sie auf etwas seinerseits, und es kam ihm – mit einem Frösteln – in den Sinn, daß es wohl nicht nur darum ging, etwas zu sagen; offenbar erwartete sie, daß er handelte.
    Sie schauten einander an, und auch Bonny erregte nun den Eindruck banger Verunsichertheit, als sei ihr genauso wie ihm zumute. Doch keiner von ihnen beiden tat etwas; jeder saß nur da und wartete darauf, daß der andere etwas unternähme. Er hegte jedoch den plötzlichen Verdacht, daß sie, falls er die Hand nach ihr ausstreckte, ihm eine runterhauen oder davonlaufen würde ... und dann könnten sich unerfreuliche Folgen ergeben. Sie könnte ... Guter Gott, diese Leute hatten den vorherigen Lehrer der Gemeinde kaltblütig umgebracht! Ob es mit ihm genauso gewesen ist? kam ihm auf einmal mit äußerstem Nachdruck ein neuer Gedanke. War es möglich, daß sie mit ihm ein Verhältnis gehabt hatte, und der Lehrer war so dumm gewesen, ihrem Mann davon zu erzählen, oder etwas ähnliches? Ist das Dasein als Lehrer hier so verdammt gefährlich? Wenn es sich so verhält, dann zur Hölle mit meinem Stolz. Ich möchte leben.
    »Da kommt Jack Tree«, sagte Bonny Keller.
    Über den Geländekamm kehrte der Hund zurück, die Mutation mit der angeblichen Fähigkeit des Sprechens, und ein wenig hinter ihm folgte ein gebeugter Mann mit rundlichen Hängeschultern und ausgemergeltem Gesicht. Er trug einen schäbigen Mantel, einen früheren feinen Städtermantel, und eine schmutzige, blaugraue Hose. Er sah ganz und gar nicht wie ein Landbewohner aus. Statt dessen glich er, befand Mr. Barnes, einem Versicherungsagenten mittleren Alters, der sich für gut einen Monat im Wald verirrt hatte. Der Mann besaß ein schwärzliches Kinn, das in unangenehmem Gegensatz zu seiner unnatürlich bleichen Haut stand. Auf den ersten Blick hegte Mr. Barnes gegen ihn Abneigung. Aber lediglich aufgrund von Mr. Trees Äußerem? Weiß Gott, er hatte im Laufe der vergangenen Jahre eine Menge verstümmelte, verbrannte, schwerbeschädigte und sonstwie beeinträchtigte Menschen zu sehen bekommen ... Nein, sein spontaner Widerwille gegen Mr. Tree mußte auf dessen sonderbarem Schlurf- und Schaukelgang beruhen. Er befleißigte sich nicht der Gangart eines gesunden, sondern eines sehr schwer erkrankten Menschen. Eines auf eine Weise kranken Mannes, wie Barnes noch nie einen gesehen hatte.
    »Hallo«, sagte Bonny, indem sie aufstand.
    Der Hund legte Lebhaftigkeit an den Tag, verhielt sich nun ganz natürlich.
    »Ich bin Barnes, der neue Schullehrer«, sage Barnes, erhob sich ebenfalls und streckte die Hand aus.
    »Ich bin Tree«, sagte der Leidende und reichte ihm seinerseits die Hand. Als Barnes sie drückte, merkte er, daß sie in unerklärlichem Maße feucht war; es war schwierig, sogar nahezu unmöglich, sie festzuhalten, und er ließ sie sofort wieder los.
    »Jack«, sagte Bonny, »Mr. Barnes versteht etwas vom Schwanzstutzen bei schon ausgewachsenen Lämmern, wenn das Risiko des Wundstarrkrampfs nicht mehr so hoch ist.«
    »Verstehe«, sagte Tree und nickte. Doch er wirkte, als vollzöge er nur mit Kopf und Mund die entsprechenden Bewegungen, während er in Wahrheit nichts darum gab, möglicherweise nicht einmal verstand. Er langte mit der Hand hinab und tätschelte den Hund. »Barnes«, sagte er laut und deutlich zu ihm, wie um ihm den Namen beizubringen.
    »Brrnz«, knurrte der Hund. Er bellte und schaute aus Augen, die hoffnungsvoll glänzten, zu seinem Herrn auf.
    »Richtig, gut so«, sagte Mr. Tree und lächelte. Sein Mund wies so gut wie gar keine Zähne mehr auf, bestand fast nur aus zahnlosem Gaumen. Noch schlimmer als bei mir, dachte Barnes. Der Mann muß unten in San Franzisko gewesen sein, als der große Knall kam. Das ist eine mögliche Erklärung. Oder es liegt, wie bei mir, an mangelhafter Ernährung. Er vermied es, näher hinzuschauen; er schlenderte beiseite, die Hände in den Taschen.
    »Sie haben hier ziemlich viel Land«, sagte er über die Schulter. »Über welchen Makler haben Sie's erworben? Oder haben Sie's dem Landkreis abgekauft?«
    »Es hat kein Kauf stattgefunden«, gab Mr. Tree zur Antwort. »Ich habe ganz einfach das Nutzungsrecht. Dank Bonny, die sich sehr dafür eingesetzt hat, ist es mir durch die Bürgerversammlung von West Marin und den Planungsausschuß zugestanden worden.«
    »Der Hund ist wirklich faszinierend«, sagte Barnes, indem er

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