Kinder des Holocaust
sich umdrehte. »Er kann wahrhaftig sprechen. Er hat ganz deutlich meinen Namen wiederholt.«
»Sag ›Guten Tag‹ zu Mr. Barnes«, forderte Mr. Tree den Hund auf.
Der Hund kläffte. »Gnntg, Mrrr Brrrnz«, röchelte er dann hervor. Er kläffte nochmals und musterte nun Barnes, um zu sehen, was er davon halten mochte.
Insgeheim seufzte Barnes. »Wirklich prächtig«, sagte er zu dem Hund. Das Tier winselte und tat hocherfreut einige Luftsprünge.
Daraufhin empfand Mr. Barnes eine gewisse aufrichtige Sympathie für den Hund. Doch, immerhin, es war eine Leistung. Und trotzdem – der Hund stieß ihn ebenso ab wie Mr. Tree selbst; beiden war eine Art von Abseitigkeit zu eigen, etwas wie Entartung, als habe das einsame Leben hier draußen im Wald sie irgendwie von der normalen Realität abgeschnitten. Sie waren nicht verwildert; nicht zu etwas heruntergekommen, das man als Barbarei hätte bezeichnen können. Sie waren schlichtweg unnatürlich. Er mochte die beiden ganz einfach nicht.
Bonny dagegen mochte er sehr gern, und er fragte sich voller Mißmut, wie sie wohl an die Bekanntschaft eines solchen Freaks wie Mr. Tree gelangt sein konnte. Verlieh der Besitz so vieler Schafe dem Mann in dieser kleinen Gemeinde großen Einfluß? Lag es daran? Oder stand es mit etwas anderem im Zusammenhang, irgend etwas, wodurch das Verhalten des ehemaligen – nun toten – Lehrers sich begreifen ließe, seine Absicht, Mr. Tree zu ermorden?'
Seine Neugier war geweckt; vielleicht war es der gleiche instinktive Wissensdurst, der hier zum Tragen kam, den er verspürte, wenn er eine neue Abart von Pilz entdeckte, in ihm das dringende Bedürfnis entstand, sie einzuordnen, genau herauszufinden, um was für einen Pilz es sich handelte. Nicht besonders schmeichelhaft für Mr. Tree, dachte Barnes mit sarkastischem Humor, mit einem Pilz verglichen zu werden. Doch es ließ sich nicht ändern; er empfand nun einmal so und nicht anders, was Mr. Tree und seinen absonderlichen Hund betraf.
»Du hast deine Kleine heute nicht dabei«, sagte Mr. Tree zu Bonny.
»Nein«, sagte Bonny. »Edie fühlte sich nicht wohl.«
»Etwas Ernstes?« forschte Mr. Tree nach. Er wirkte besorgt.
»Bauchschmerzen, sonst nichts. Sie treten ab und zu bei ihr auf. Sie hat sie schon, solange ich mich erinnern kann. Ihr Bauch ist dann geschwollen und hart. Kann sein, es ist eine Blinddarmentzündung, aber Operationen sind heutzutage ja so gefährlich ...« Bonny verstummte und wandte sich an Barnes. »Wir sprechen von meiner Tochter, Sie haben sie noch nicht gesehen ... Sie hängt sehr an diesem Hund, an Terry. Sie sind richtig miteinander befreundet, wenn wir hier draußen sind, unterhalten die zwei sich stundenlang.«
»Sie und ihr Bruder«, fügte Mr. Tree hinzu.
»Hör mal«, sagte Bonny, »diese Geschichte bin ich endgültig und ein für allemal satt. Ich habe Edie gesagt, daß sie endlich damit aufhören soll. Das ist auch der Grund, warum es mir so recht ist, wenn sie hier mit Terry spielt. Sie sollte echte Spielgefährten haben, statt so nach innen gekehrt zu sein und sich mit Hirngespinsten zu befassen. Sind Sie nicht auch dieser Meinung, Mr. Barnes? Sie sind doch Lehrer. Ein Kind soll sich mit der Wirklichkeit beschäftigen, nicht mit Spinnereien, habe ich recht?«
»In der heutigen Zeit habe ich volles Verständnis für ein Kind, das sich in seine Phantasien zurückzieht«, sagte Barnes nachdenklich. »Man kann's ihm kaum zum Vorwurf machen. Vielleicht sollten wir alle das tun.« Er lächelte, aber Bonny erwiderte sein Lächeln nicht; ebensowenig Mr. Tree.
Bruno Bluthgeld hatte seinen Blick nicht einen Moment lang von dem neuen jungen Lehrer genommen – falls er wirklich einer war; falls dieser stämmige junge Mann, gekleidet in einer Khakihose und ein Baumwollhemd, tatsächlich nichts anderes war als ein Lehrer, wie Bonny berichtet hatte.
Ist er auch hinter mir her? fragte sich Bluthgeld. Wie der vorherige Lehrer? Vermutlich. Und Bonny hat ihn hergebracht. Bedeutet das, daß nun zu guter Letzt auch sie auf der anderen Seite steht? Gegen mich ist?
Doch daran vermochte er nicht zu glauben. Nicht nach so vielen Jahren. Und es war ja Bonny gewesen, die aufgedeckt hatte, in welcher Absicht Mr. Austurius wirklich nach West Marin gekommen war. Bonny hatte ihn vor Mr. Austurius gerettet, und dafür war er ihr dankbar; ohne sie wäre er jetzt nicht mehr am Leben, und das würde er niemals vergessen; möglicherweise war dieser Mr. Barnes also in der Tat das,
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