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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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Kreuz schlugen; es hatte auch schon offene Beschimpfungen gegeben, und übermütige junge Männer hatten sich mehr als einmal dazu hinreißen lassen, Steine gegen das Haus zu werfen und zu brüllen, dass »die Hexen« verschwinden sollen.
    Jitka war sich sicher, dass all das nicht passiert wäre, wenn sie einen Vater zu Hause gehabt hätte. Und auch hier, im Kreis der Frauen, fühlte sie sich kaum richtig geborgen. Sobald das Mal zu sehen war, wurden die Mägde – außer der älteren Anna – ablehnender, als trüge sie eine Krankheit in sich. Jitka hasste dieses Zeichen, für das sie nichts konnte und das sie zu einer Ausgestoßenen machte.
    Anna drückte sie an sich. »Ich verspreche dir, dass sie freigelassen wird. Ihr kommt wieder zusammen. Du musst nur fest beten und jeden Tag an sie denken.«
    Jitka nickte. All das tat sie ohnehin.
    »Und jetzt reden wir von etwas anderem«, sagte die altgediente Magd in den Raum. »Die Kleine hat es schon schwer genug, da müssen wir sie nicht mit unserem Geschwätz noch trauriger machen, als sie ohnehin schon ist.« Sie gab dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn und setzte es zurück auf den Tisch. »Jelina, erzähl uns eine schöne Geschichte, eine mit einem guten Ende.«
    Zwei Wochen später gab es noch immer keine Nachrichten über Janja. Mit jedem Tag, der verstrich, wurde Jitkas Gesang eindringlicher. Über was auch immer sie sang, ihre Stimme legte selbst in das fröhlichste Lied eine Melancholie hinein, die dem lustigsten Menschen der Welt das Lachen vom Gesicht wischen und ihn anrühren würde. Die Frauen sprachen mit Rücksicht auf das Mädchen nicht mehr über die verschollene Mutter, und Großbauer Lubomir beschränkte sich darauf, Jitka einmal am Tag die Hand auf die Schulter zu legen und seinen Kopf zu schütteln. Keine neue Kunde von ihrer Mutter.
    Am Ende eines weiteren schier unendlichen Nachmittags inmitten der fröhlich schnatternden Frauen wurden Jitka die Augen schwer. Sie döste ein … bis sie auf einmal bemerkte, dass die Geräusche um sie herum verstummt waren. Erschrocken hob Jitka die Lider und sah Martin vor sich stehen, der seine Hand halb nach ihr ausgestreckt hatte, um sie zu wecken.
    »Oh, gut. Dann kann ich es mir sparen, dich wachzurütteln«, brummte er freundlich. »Komm mit. Du hast Besuch bekommen.« Jetzt richteten sich alle Blicke auf den Großknecht, die Frauen in der Stube stellten unausgesprochen alle die gleiche Frage. Eine Antwort gab es für sie allerdings nicht. »Arbeitet weiter, ihr neugierigen Hühner«, zog er sie auf. »Ihr werdet es noch früh genug erfahren.«
    Jitka wusste sofort, wen er meinte. »Mutter!«, rief sie aufgeregt und rannte an Martin vorbei hinaus in die Diele.
    Anna reckte den Hals, um aus dem Fenster auf den Hof zu schauen. Dort stand eine große Kutsche ohne ein Abzeichen oder Wappen auf der Tür, die dennoch groß genug war, um den Besitzer ein kleines Vermögen gekostet zu haben.
    »Jesusmaria! Der Großbauer will sie doch nicht verkaufen?«, murmelte Svanja und erhielt dafür einen bösen Blickvon Martin, der gleich darauf den Raum verließ, um dem Mädchen zu folgen.
     
    Jitka hatte die Tür des Gesindehauses erreicht, riss sie freudestrahlend auf und wollte sich mit ausgebreiteten Armen gegen den geliebten Menschen werfen, der sie auf der anderen Seite ganz zweifellos erwartete.
    Ihre Bewegungen endeten im Ansatz.
    Vor ihr stand ein Mann von etwa dreißig Jahren, der ein weites weißes Hemd mit dunkelrotem Halstuch trug. Die schwarzen Hosen zierten Schlitze, in die dunkelroter Stoff eingenäht war, und endeten in hohen braunen Stulpenstiefeln. Über das Hemd hatte er einen mantelartigen Überwurf aus silbernem und grauem Brokatstoff gelegt, der bis zu den Knien reichte. Den dunkelgelben Samtmantel, an dem zahlreiche Bänder und Schleifen angebracht waren, hielt er in der Rechten. Die beeindru ckende Erscheinung ließ Jitka unwillkürlich den Atem an halten.
    Der Mann ging vor ihr in die Hocke. »Du bist Jitka?«, fragte er mit leiser, dunkler Stimme, die den Eindruck machte, niemals laut werden zu müssen, um verstanden zu werden.
    Sie bewunderte seinen eleganten schwarzen Schnurrbart sowie das getrimmte Kinnbärtchen. Seine Haare hatte er unter einer weißen Perücke verborgen. Und es war eine
enorme
Perücke! Ihre Mutter hatte ihr einmal davon erzählt, dass manche Fürsten es vornehm fanden, sich auf den eigenen Schopf falsche Haare zu setzen. Damals hatte Jitka gelacht. Falsche Haare – wie

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