Kinder des Judas
geschehen war. Die Türken hatten keine Sachen von ihr mitgenommen, es fehlte nicht ein Wäschestück. Es gab auch keine weiteren Blutspuren, also nahm sie an, dass man ihrer Mutter nichts angetan hatte.
Müdigkeit stieg in Jitka auf und machte, zusammen mit der Unsicherheit und der Verzweiflung, ihre Gliedmaßen unendlich schwer. Sie wusste, dass es niemanden in der Stadt gab, der ihr helfen würde, und es besser war, wenn sie bliebe, wo sie war. Das Mädchen mit dem bösen Blick und dem Mal, das alle hässlich fanden. Manche sagten auch noch schlimmere Dinge.
Sie ging zu dem Bett, in dem sie und ihre Mutter gemeinsamschliefen. Wie gerne hätte sie sich hineingelegt und die Decke bis über den Kopf gezogen, doch sie wagte es nicht. Stattdessen nahm sie das Laken und verkroch sich in den Schrank, auf dessen Boden sie sich zusammenrollte. Das Laken legte sie über sich, damit man sie nicht auf den ersten Blick sehen würde. Ein Versteck, falls die Türken noch einmal ins Haus kommen sollten.
Jitka schloss die Augen und betete, dass, wenn sie am nächsten Morgen erwachte, ihre Mutter neben ihr lag oder sie mit einem Kuss weckte.
Alles um sie herum war warm und sauber. Vor ihr öffnete sich eine Tür. Durch sie trat der geheimnisvolle Mann herein, dem sie schon einmal im Traum begegnet war – ihr Vater! Er streckte die Hände nach ihr aus und zog sie in seine Arme. Dankbar ließ Jitka ihren Kopf an seine Brust sinken, wollte sich in seiner tröstenden Wärme verlieren, sie spürte, wie ihr seine langen Locken in der Nase kitzelten, als er aufstand und mit ihr …
Jitka fuhr hoch. Das war kein Traum – da waren Schritte, die sich ihrem Versteck näherten! Benommen bemerkte sie, dass der Tag anbrach. Die Tür des Schranks stand offen … war sie von selbst aufgegangen?
»Jitka, steh auf«, vernahm sie die Stimme von Martin, dem Großknecht des Bauern Lubomir. Bei ihm arbeiteten sie und ihre Mutter, um sich das Geld zum Leben zu verdienen. Eine Welle der Erleichterung ließ sie für einen Moment aufatmen. Von dem netten, freundlichen Mann drohte keine Gefahr – er war aber auch nicht die geliebte Mutter.
Sie schlug das Laken zurück und sah in das bärtige Gesicht des kräftigen, untersetzten Knechts. Er trug einfache Kleidung aus derber Wolle, darüber einen abgewetzten Ledermantel, der ihn vor Kälte und Regen schützte; auf dem Kopf saß ein zerschlissener brauner Hut.
»Wo ist meine Mutter?«
Martin setzte sich neben sie vor den Schrank. »Es ist besser, wenn du die nächsten Tage bei mir bleibst«, sagte er leise und beruhigend. Er klaubte ihr ein paar Strohhalme aus dem zerzausten Haar und ließ sie zu Boden fallen. »Sie wird wiederkommen, da bin ich mir ganz sicher.«
Jitka schluckte. »War es der Janitschar? Was ist denn passiert?« Die dunkelgrauen Augen wanderten zur geborstenen Decke.
»Man sagt, der Junge hat sich da oben versteckt. Aber seine Diebesbeute fehlt«, erklärte er ihr. »Die Türken haben deine Mutter, den Jungen und dessen Familie mitgenommen. Sie werden zum Kadi gebracht, der entscheiden wird, welche Strafe über sie verhängt wird.«
»Aber wir haben …« Jitka schossen Tränen der Wut und Hilflosigkeit in die Augen. »Wir wussten nicht, dass er da oben ist.«
Martin drückte sie an sich und ließ sie in seinen Armen schluchzen. »Mein Herr hat gesagt, er wird sich für deine Mutter einsetzen, damit ihr nichts geschieht. Sie ist eine gute Frau.«
Er stand auf und trug das weinende Kind hinaus auf die Straße, wo ein Einspänner wartete. Martin setzte sie auf den Bock und legte eine dicke, kratzige Decke über Beine und Oberkörper. »Warte hier. Ich hole deine Sachen.« Er verschwand für einige Augenblicke im Haus und kehrte mit einem Korb voller Wäsche zurück, dann zog er die Tür hinter sich zu und stieg zu ihr.
Ein Peitschenknall genügte, und die Kutsche setzte sich in Bewegung, rollte die Straße entlang. Jitka sah zu den Fenstern, die rechts und links an ihr vorüberzogen, und erkannte dahinter einige mitleidige Gesichter; andere dagegen machten Zeichen zur Abwehr des bösen Zaubers, den man ihr nachsagte.Als sie am Haus von Milan vorbeikamen, stand er am Fenster und winkte. Jitka wollte den Arm heben, konnte sich aber nicht rühren. Ihre Gedanken drehten sich einzig um ihre Mutter, ihr Körper war wie gelähmt.
Rumpelnd und mit leisem Kettenklirren fuhr der Wagen zur Stadt hinaus und schlug den Weg zum Gehöft des Großbauern ein.
Am Himmel zog der Morgen
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