Kinder des Judas
sollte das denn aussehen? Doch nun stockte ihr beim Anblick solcher Pracht der Atem. Die Perücke türmte sich eine Handbreit über dem Kopf auf und floss in weichen Locken, die nach Parfüm rochen und mit Perlen und glänzenden Steinen durchwirkt waren, bis weit über die Schultern hinunter. Jitka staunte mit offenem Mund; beinahe hätte sie den Armausgestreckt, um das Haar zu berühren und herauszufinden, wie es sich anfühlte.
Doch dann hielt sie inne. Der märchenhafte Anblick war wunderschön, aber er erinnerte sie auch an den Mann, den sie damals bei den Felsen gesehen hatte. Das Gebilde auf seinem Kopf könnte eine solche Perücke gewesen sein!
Die braunen Augen lagen forschend auf ihren Zügen, als suchten sie etwas. »Bist du es, oder bist du es nicht, Kleine?«
Wenn er mich damals beobachtet hat – dann ist er der Upir!
Jitka wollte vor dem merkwürdigen Fremden zurückweichen, beherrschte sich dann aber. Die Perücke des anderen Mannes – wenn es denn kein Turban gewesen sein sollte – war größer und anders geformt gewesen als diese; zudem konnte sie sich gut an das blaue Funkeln erinnern, von dem es an ihrem Gegenüber keine Spur gab.
Martin trat hinter sie. »Das ist sie, Herr.«
Der Unbekannte streckte die Rechte aus, die von einem Handschuh umhüllt war. Jitka entdeckte einen Siegelring daran: drei gekreuzte Dolchpaare. Es war … das Schmuckstück aus ihrem Traum! »Gestatte mir, dass ich mich vorstelle. Ich bin Karol Illicz. Es freut mich, dich nach so langer Zeit endlich kennenzulernen.« Der Mann lächelte freundlich und hielt den Arm weiterhin ausgestreckt. »Ich bin dein Vater, Jitka.«
Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Stattdessen schaute sie hinter sich zu Martin und erbat sich stumm Beistand.
Der Großknecht lachte gütig. »Das ist ein wenig viel, nicht wahr? Aber glaub dem Mann ruhig: Er ist dein Vater und wird von nun an für dich sorgen, bis deine Mutter zurückgekehrt ist.«
Erst jetzt fand sie ihre Sprache wieder. »Aber sie hat immer gesagt, dass mein Vater tot ist. Er war Soldat und ist in einem fernen Land für den Sultan gefallen.«
»Das hat sie dir also erzählt?«, meinte der Mann amüsiert. Etwas in seiner Stimme brachte sie dazu, sich wieder zu ihm umzudrehen, als würden unsichtbare Hände sie lenken. Für einen kurzen Moment meinte sie, etwas in seinem Gesicht zu sehen, wie eine zarte Schicht Ruß, die von einem Hauch hinweggeweht wurde. »Sehe ich etwa tot für dich aus?«
Ganz im Gegenteil. Er wirkte sehr lebendig … und sehr nett. In seinen dunklen Augen blitzte der Schalk.
Martin lachte ebenfalls leise. »Ich schwöre es, Jitka. Ich kenne ihn … ich kenne ihn aus …« Er stockte. Als Jitka ihm einen erstaunten Blick zuwarf, sah sie, dass er verkrampft den Kopf zur Seite gelegt hatte und zwinkerte, als sei ihm etwas ins Auge geraten. »Ich kenne ihn«, wiederholte er dann noch einmal und lächelte plötzlich selig wie ein kleiner Junge, »schon sehr, sehr lange.«
Jitka runzelte die Stirn und sah Karol fest an. »Meine Mutter hat gesagt, das Name meines Vaters sei Radomir.«
»So, hat sie das?« Er lächelte. »Das passt zu ihr. Sie hat mich immer geneckt mit solchen Spitznamen.«
»Aber wo wart Ihr denn die vielen Jahre?«
»Oh, ich habe gekämpft und gekämpft«, erklärte er leichthin, »und immer, wenn ich nach Hause wollte, zu dir und deiner Mutter, erhielt ich den nächsten Befehl, der mich auf ein weiteres Schlachtfeld führte. Kamen denn meine Briefe nicht bei euch an?«
Jitka schüttelte den Kopf.
Karol atmete lange aus. »Das tut mir sehr leid.« Er tippte sich gegen die Perücke. »Beinahe hätten wir uns gar nicht mehr kennengelernt, Jitka. Vor gar nicht allzu langer Zeit zwang mich eine schwere Verwundung nieder, das Fragment einer Kanonenkugel hat mich am Kopf verwundet. Ich lag in einem Kloster zur Pflege. Man hatte mich schon aufgegeben, bis Gott mir meinen Verstand von der Verwirrung reinigte.«
»Acht Jahre lang?«, brach es vorwurfsvoll aus ihr heraus.
Karol sah zu Martin hinauf, in dessen Gesicht es zuckte, als ringe er mit der Beherrschung. »Sie hat schon recht, oder was meint Ihr, alter Freund? Ich war kein sehr guter Ehemann und Vater. Der Krieg war mir näher als meine Familie. Es hat eine Kanonenkugel gebraucht, um mich nach Hause zu bringen.« Er schob sich ein wenig zur Seite, damit Jitka die Kutsche hinter ihm sah. »Aber danach habe ich mich gleich auf den Weg gemacht, um nach meiner Frau zu sehen.
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