Kinder des Judas
geschämt,
mutmaßte Jitka, als sie sich auf eine der gepolsterten Bänke fallen ließ. Es roch hier fast so, als wäre der edle Wagen vor nicht allzu langer Zeit benutzt worden, um Schweinehälften zu transportieren, ein irritierender, fleischiger Geruch. Jitka wollte ihren Vater gerade darauf ansprechen, als die Müdigkeit sie überwältigte.
Als sie erwachte, stand die linke Tür offen. Jitka sah die Sonne am Horizont verschwinden. Ein sanfter Wind streichelte die Bäume und wiegte ihre Äste und Zweige. Es schien fast, als winkten sie ihr zu.
Karol, der vor der Kutsche stand, drehte sich zu ihr um. »Waren deine Träume schön, Tochter?«
Sie musste erst nachdenken. »Ich glaube, ich habe nichts geträumt«, antwortete sie ehrlich und stand auf, streckte sich und verließ die Kutsche.
»Wie bedauerlich.« Er packte sie mit beiden Händen an der Hüfte und hob sie schwungvoll auf den Kutschbock. »Dann hat es sich kaum gelohnt, dass ich dich den ganzen Tag schlummern ließ.« Er zwinkerte ihr zu. »Wir sind schon ganz schöne Schlafmützen, nicht wahr?«
Sie lächelte zurück und beobachtete ihn, wie er die Schimmel anspannte. Sie fand seine elegante Kleidung sehr unpassend für diese einfache Tätigkeit. Nichts davon passte hierhin und auch nicht zu den bescheidenen Verhältnissen, in denen sie aufgewachsen war.
»Seid Ihr sehr reich, Vater?«, fragte sie.
»Wie kommst du darauf?«
»Wegen Eurer Kleidung.«
»Die stehle ich mir zusammen. Von reichen Leuten.« Er schaute über die Schulter und überprüfte den Sitz der Scheuklappen. Als er dabei bemerkte, wie verblüfft sie ihn anstarrte, musste er lachen. »Nein, natürlich nicht, Jitka. Ich habe lange und hart dafür gearbeitet und mir zum Lohn eines Soldaten einiges dazuverdient. Warum fragst du?«
»Die Frauen haben gesagt, dass man Mutter freikaufen kann.« Sie seufzte. »Habt Ihr genügend Geld dafür?«
Karol nickte. »Oh, mach dir keine Sorgen. Daran wird es nicht scheitern.« Er erklomm den Bock. »Und rede mich bitte nicht an, als sei ich ein Fürst. Ich bin dein Vater, nicht dein Lehnsherr.« Gleich darauf erklang der Peitschenknall, und ihre Fahrt ging in der Abenddämmerung weiter.
Jitka betrachtete gedankenverloren die Umgebung mit ihren Bergen, den Wäldern und den vielen Wiesen und Äckern, aufdenen sie aber kaum noch Menschen zu Gesicht bekam; nur noch einige wenige kehrten vom Holzsammeln und der Feldarbeit zurück. »Wieso hast du uns nie Geld geschickt?«, fragte sie ihn schließlich.
»Das habe ich, Tochter«, antwortete er. »Es muss verlorengegangen sein. Ich bedauere zutiefst, dass ihr in Armut leben musstet, denn es hätte nicht sein müssen. Allein mein normaler Sold hätte genügt, um euch ein angenehmes Dasein zu ermöglichen.«
Jitka versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen wäre, als reiches Kind aufzuwachsen. Bei dem Gedanken an sich selbst in prächtigen Kleidern musste sie grinsen. Was hätten die ihr bei den vielen Streifzügen durch die Wälder genützt, bei all den kleinen Abenteuern, die sie sich seit einigen Jahren immer wieder gesucht hatte, obwohl ihre Mutter strikt dagegen gewesen war?
Du bist zu wild für ein Mädchen
, hatte die Mutter mehr als einmal getadelt.
Ich kann einfach nicht anders
.
Irgendetwas in mir bringt mich dazu.
Immer hatte die Mutter den Kopf geschüttelt und sie nachdenklich angesehen.
Nichts bringt dich zu irgendetwas, außer du selbst.
Die Leute im Dorf hatten das natürlich etwas anders gesehen. »Das da vorne ist unser Ziel, Tochter«, riss Karol sie schließlich aus ihren trüben Gedanken. Er deutete mit der Peitsche nach vorne. »Darol-i-Jehad, wie sie von den Türken genannt wird.«
Jitka bestaunte die Festungsanlage, die vielen Häuser und die Lichter, die überall funkelten und glänzten. Zwischen den Kirchtürmen erhoben sich Minarette. Sie ließ den Blick weiterschweifen. Das war eine große Stadt, größer als alles, was sie bislang gesehen hatte. Und der Fluss, der im Schein der untergehenden Sonne blutrot vorbeizog, war so breit, dass er jedes befahrene Gewässer der Welt übertreffen musste, da war sie sicher. Ihre Aufregung stieg.
»Was bedeutet der Name?«
»So viel wie
Heimat der Glaubenskriege
. Von hier aus beginnen die Sultane ihre Feldzüge in den Nordwesten gegen die Habsburger. Es ist ihr wichtigster Stützpunkt.« Karol spornte die Pferde weiter an. »Die Einheimischen nennen sie Belgrad.«
Jitka betrachtete die näher rückenden Mauern. »Ist Mutter
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