Kinder des Judas
dass der Dhampir nicht ausreichte, um den jungen Deutschen zu beschützen.
Scylla beschloss, ihnen zu folgen, auch wenn sie dazu ihre Gestalt ändern musste. Sie freute sich darauf, eine Rolle einzunehmen, die nach ihrem beinahe in Vergessenheit geratenen Tanz und Gesang verlangte. Die Mühle würde indes auf sich selbst achtgeben.
Scylla trat aus dem Unterholz ins Mondlicht, bückte sich und nahm Schnee vom Boden auf, um sich das Blut des Vampirs von Hals, Schultern und Brüsten zu wischen. »Ich lasse dich nicht allein«, versprach sie Viktor.
XVII.
Kapitel
9. Januar 1732
In der Nähe von Zajecar (serbisches Gebiet)
D ie Fahrten mit den Karren und Schlitten der Zingaros waren die langweiligsten Stunden dieser Reise ins Ungewisse.
Das Schreiben war Viktor wegen des Schaukelns nicht möglich, und unterhalten konnte er sich mit den Zingaros auch nicht, weil keiner von ihnen der deutschen Sprache mächtig war. Libor richtete es aus allen möglichen Gründen so ein, dass er kaum das gleiche Gefährt wie sein neugieriger Gast benutzte. Also ließ sich Viktor durchrütteln und wartete stets darauf, dass eine Rast eingelegt wurde oder sie ein Dorf erreichten.
In der Zeit des Nichtstuns betrachtete er die verschneite und in Eis erstarrte Umgebung, an der er sich jedoch bald sattgesehen hatte, und schließlich war er wieder bei der Grübelei über die Vampire und die Baronin angelangt – wobei die Baronin mehr Platz eingeräumt bekam. Nur kurz streifte er in Gedanken seinen Vater und die Verlobte.
An diesem Abend hielten sie in der Nähe eines Dorfes, dessen Name Viktor nicht auszusprechen vermochte und zu dem sie geschickt worden waren. Angeblich befände sich dort ein Vampir, der die Menschen heimsuche und sich vor allem an dem bisschen Vieh, das sie besaßen, verging. Libor ließ das Lager aufschlagen.
»Warum so weit weg von den Häusern?«, wollte Viktor wissen, als er trotz seiner Behinderung beim Aufbau der Zelte half.Nicht zuletzt würde er auf diese Weise früher am warmen Feuer sitzen.
»Weil ich dem Vampir nicht traue, Niemez«, erklärte Libor. »Ich denke, dass er Vieh als Beute bevorzugt, und ich kann keines unserer Pferde entbehren. Außerhalb des Dorfes und in der Wagenburg sind sie besser geschützt als dort, wo sich der Vampir beim Anschleichen jederzeit in den Schatten von Gebäuden verbergen kann.« Der Dhampir gab Befehle an seine Sippe. »Sie werden jetzt Holzkreuze an die nach außen gerichteten Wagenseiten heften. Der Vampir war Christ, was bedeutet, dass wir ihn damit abschrecken können.« Er ging zu den ausgespannten Pferden. »Geben Sie ihnen die Hafersäcke, Niemez?«, bat er Viktor. »Ich muss noch einiges erledigen.«
»Sicher.« Viktor verlegte sich vom Aufbau der dünnwandigen Behausungen auf die Fütterung. Die Zingaros benutzten ausschließlich kräftige, dicke Ackerschimmel, welche die Schlitten und Karren nicht besonders schnell, aber tagelang ziehen konnten, auch wenn es einmal kein Fressen im Überfluss gab. Die Reserven dieser Tiere zählten mehr als Geschwindigkeit.
Er bemerkte, dass es sich um Wallache und Stuten handelte. Das hatte einen Grund, wie er wenig später bei der gemeinsamen Mahlzeit im großen Zelt erfuhr.
»Wenn wir die Gräber von Vampiren suchen und uns die Dorfbewohner nicht sagen können, wen sie für den Schuldigen halten, gehen wir mit den beiden Stuten über den Friedhof«, erläuterte Libor und teilte den Eintopf aus dem bauchigen Kessel aus. Er bestand aus Linsen, Graupen und etwas Fleisch; die ungewohnten Gewürze machten das Essen zu einem besonderen Erlebnis. Viktor wusste nicht einmal, um was es sich dabei handelte, aber der Geschmack erinnerte entfernt an Kümmel. »Einfarbige, jungfräuliche Pferde, besonders Rappen und Schimmel, würden niemals einen Huf auf ein Grab setzen, in dem ein Vampir haust.« Er reichte Viktor das schlichte, abersehr schmackhafte Mahl, erst am Ende lud er sich den eigenen Teller voll. »Sie spüren den Untoten. Und wenn wir unsere kleine Smeralda auf ihren Rücken setzen, wirkt es noch viel besser.«
Viktor sah zu der jungen Frau, die er höchstens auf sechzehn Jahre schätzte. »Ist sie eine Dhampira?«
»Nein. Eine Jungfrau«, entgegnete Libor grinsend. »Ein Schimmel, der eine Jungfrau auf dem Rücken trägt, findet jeden Vampir unter seinen Hufen, glauben Sie mir, Niemez.«
Plötzlich erklang lautes Geschrei von außerhalb der Wagenburg, dann prallte etwas Helles, Leuchtendes von außen gegen die
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