Kinder des Mars
dass es auch bei ihnen keine weiteren Zwischenfälle gegeben hatte. Er übernahm es, seinem Clanoberhaupt Taos zu berichten.
Kaum war das erledigt, klingelte ihr eigenes Telefon.
»Velasquez Security, Vivian Vinter am Apparat«, meldete sie sich. Ihr fielen fast die Augen zu, sonst hätte sie die Nummer auf dem Display erkannt und sich weniger förmlich gemeldet.
»Vivian! Joe hier.«
Joe, kurz für Josephine, war noch nicht lange in Amerika. Sie war selbständig, ohne Clanzugehörigkeit, unterstützte jedoch Vivians Arbeit, indem sie ihren Teil zum Informationsfluss beitrug.
»Hallo. Was gibt es?«
»Ich hätte es dir persönlich gesagt, aber du bist ja nicht zu Hause.«
Joe wohnte im gleichen Haus wie Vivian, zwei Stockwerke unter ihrem Appartement.
»Ich hatte einen Einsatz. Nimm es mir nicht übel, aber ich bin müde. Also komm bitte zur Sache.«
»Oh.« Joe zögerte. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Jetzt schon.« Vivian drückte ihre Nasenwurzel und fuhr sich dann mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand über die Augen. In der Linken hielt sie den Hörer, der ihr vor Erschöpfung fast aus der Hand glitt. Sie war seit dreißig Stunden auf den Beinen, von denen sie noch dazu die Hälfte unter Höchstspannung verbracht hatte. Auch Unsterbliche mussten sich ausruhen. Vivian wünschte, Joe hätte nicht angerufen. Nicht jetzt. Sie brauchte ein paar Stunden, bevor sie sich um das nächste Problem sorgte. Aber es stand schon vor der Tür und wollte offenbar nicht warten. Sie seufzte. »Was ist los?«
»George Fuller wurde ermordet.«
Vivian starrte ins Leere. »Oh nein. Von wem?«
»Von einem Kleinganoven namens Hank Tennant. Er hat abgedrückt. In seiner Begleitung war Gene Barry, ein dämlicher Gehilfe.«
Vivian überlegte einen Moment. »Die Namen sagen mir nichts.«
»Sie sind bedeutungslos.«
»Warum sollten sie ihm dann nach dem Leben trachten? Soweit ich weiß, war er ein sauberer Geschäftsmann.«
»Weil sie dafür bezahlt wurden«, kam prompt die einfache Antwort.
»Von wem?«
»Das wissen wir nicht«, gestand Joe bedauernd. »Möglicherweise von jemandem, der seine Geschäfte nicht so sauber fand.«
»Er war nicht unser einziger Lieferant. Die anderen leben alle noch.« Ein schrecklicher Gedanke schoss Vivian durch den Kopf. »Oder?« Eine Spur von Furcht lag in dieser kurzen Frage.
Joe musste es gehört haben, denn sie beeilte sich, Vivian zu beruhigen. »Ja, keine Sorge. Außer Fuller ist niemand zu Schaden gekommen. Es kann auch persönliche Rache gewesen sein. Oder ein Anschlag auf uns, in welchem Fall weitere Geschäftspartner in Gefahr sind, selbst wenn die Geschäfte anderer Art sind als die mit Fuller.«
Das waren drei Möglichkeiten und somit zwei zu viel. So lange nicht klar war, ob es ums Geschäft an sich, um George Fuller selbst oder um seine Abnehmer ging, mussten alle Varianten in Betracht gezogen werden. Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen konnte zur Sisyphusarbeit werden.
»Verdammt.« Vivian bemühte sich, klar zu denken. Erst wurden Unsterbliche gefangen genommen und bei lebendigem Leibe seziert, und nun das. Kaum war ein Rattenloch ausgeräuchert, kroch die nächste Kolonie aus dem Boden. Dabei war es in den vergangenen Jahren so ruhig gewesen. Die Ruhe vor der Sturm. Momentan geschah alles auf einmal.
»Sind Tennant und Barry die einzige Spur?« erkundigte sie sich.
»Ich fürchte ja.«
»Wo sind sie? Wir müssen sie zum Reden bringen.«
»Das wird schwierig. Tennant ist tot. Als die Polizei ihn festnehmen wollte, schoss er um sich. Sein Tod war ein Akt der Notwehr. Barry sitzt im Gefängnis.«
»Dann holen wir ihn eben raus«, meinte Vivian müde.
»Mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Laut seinen Aussagen bei der Polizei ist er dumm wie Bohnenstroh. Er war zwar geständig, was den Tathergang betrifft, und hat alles genau geschildert, aber er hat keine Ahnung, von wem der Auftrag kam. Tennant war der Mann mit den Kontakten.«
»Das ist mir egal. George Fuller war ein ehrenwerter und aufrichtiger Mann. Der für seinen Tod Verantwortliche wird zur Rechenschaft gezogen.« In Gedanken stellte sie bereits eine Liste mit Namen zusammen, die ihr dabei helfen würden. »Besteht die Möglichkeit, dass Barry auf Kaution freikommt?«
»Eher nicht«, meinte Joe. »Er ist in einen Mordfall verwickelt, der noch dazu keine vierundzwanzig Stunden zurückliegt. Ich wette, die Polizei hat selbst einige Fragen an ihn. Die werden ihn nicht so schnell auf freien Fuß
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