Kinder des Mars
ihr eigenes Leben. Hängen Sie nicht dem Ihres Vaters nach.«
»Aber...«
»Hören Sie auf, zu widersprechen. Sie verschwenden meine Zeit. Gehen Sie freiwillig oder soll ich den Sicherheitsdienst rufen?«
Jack starrte sie noch einen Moment an. Er war völlig vor den Kopf gestoßen. Dann erhob er sich. Wie konnte solche Schönheit so grausam sein? Dreißig Jahre hatte sie mit seinem Vater zumindest eine geschäftliche Beziehung gehabt. Trotzdem schien sein Tod sie überhaupt nicht zu berühren. Sie war nicht Venus, sie war der Teufel, Lilith oder sonst einer der Dämonen, von denen seine Mutter ab und zu gesprochen hatte. Warum konnte er dann den Blick nicht abwenden?
»Ich werde dieses Zimmer kurz verlassen«, sagte die grünäugige Schönheit, während sie sich erhob. »Wenn ich zurückkomme, sind Sie verschwunden.« Vivian ging an Jack vorbei und verschwand aus seinem Blickfeld.
Es war, als hätte sie damit den Bann gelöst. Jack sah zu, dass er aus dem Büro kam. Der Aufzug war nicht da, also hastete er die Treppe hinunter. Er konnte gar nicht schnell genug Abstand gewinnen zu dieser Frau, die ihn so verstörte. Fluchtartig verließ er das Gebäude.
Erst auf der Straße hielt er inne. Hier holte er tief Luft. Ihm war, als hätte er drinnen nicht atmen können. Lächerlich , schalt er sich selbst. Jammerlappen . Dann fiel Jack ein, dass er völlig vergessen hatte zu fragen, ob sie mit seinem Vater mehr als nur das Geschäft verbunden hatte. Einen Block weiter fiel ihm noch etwas auf: Die Frau konnte nicht älter als dreißig sein, wenn überhaupt. War Vivian Vinter nur ein Deckname? Oder hatte ihre Mutter bereits denselben Namen getragen? Wie sonst sollte es möglich sein, dass George Fuller dreißig Jahre lang mit einer Vivian Vinter in Kontakt gestanden hatte, wenn die Frau, der Jack gerade begegnet war, so jung aussah?
Der Besuch hatte mehr Rätsel aufgegeben als gelöst. Jack wanderte durch die winterlichen Straßen, bis ihm kalt wurde und er im nächsten Starbucks einkehrte. Mit einem großen schwarzen Kaffee setzte er sich in einen Sessel am Fenster und sah in den trüben Tag hinaus.
Er sollte Ella anrufen. Oder Paul. Vielleicht auch Luke. Sie hatten Angst, dass er durchdrehte, und die Umstände waren definitiv seltsam. Ein Korrektiv von Außen konnte nicht schaden, eine zweite oder auch dritte Meinung mochte helfen.
Ella erreichte er nicht, bei ihr war besetzt. Jack hinterließ keine Nachricht auf der Mailbox. Paul war ebenfalls anderweitig beschäftigt. Wider Erwarten antwortete Luke nach dem zweiten Klingeln, wenn auch benommen.
»Ja?« kam seine belegte Stimme aus dem Telefon.
»Luke? Hi, Jack hier. Habe ich dich geweckt?«
»Ja. Ich habe Bereitschaftsdienst, eine achtundvierzig-Stunden-Schicht im Krankenhaus. Da schlafe ich zwischendurch, wann immer es geht.«
»Assistenzarzt sein ist wohl kein toller Job.«
»Nein, aber nicht wegen der Schicht. Die Schichten hast du als Arzt sowieso immer, jedenfalls, wenn du im Krankenhaus arbeitest und nicht in einer privaten Praxis. Das Unschöne am Assistenzarztdasein ist, dass wir noch in der Ausbildung stecken und vieles nicht wissen. Aber auch das wird sich letzten Endes nie ändern. Es ist unmöglich, alles zu wissen.« Luke gähnte.
»Da sagst du was.«
»Hm?«
»Genau darum geht es«, erklärte Jack. »Wenn ich alles wüsste, bräuchte ich mir nicht länger den Kopf zerbrechen.«
»Ja, schon...« Verstört ließ Luke den begonnenen Satz ins Leere laufen. »Wovon redest du? Ist dein Problem medizinischer Natur?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Wahrscheinlich?«
»Ich will dich damit nicht belästigen oder belasten, es ist nur...ihr habt Angst, dass ich spinne, und...«
»Raus damit!« befahl Luke. »Wenn du es hinunter schluckst, wird es dir Halsschmerzen bereiten. Oder Bauchschmerzen, am Ende gar ein Magengeschwür. Die meisten Krankheiten sind psychosomatisch, das heißt, wenn dir etwas auf die Seele drückt wird es irgendwann deinen Körper drücken...«
»Da ist was faul«, unterbrach Jack. Was ihn bedrückte sprudelte plötzlich geradezu aus ihm heraus. »Ich habe in einem versteckten Safe Unterlagen meines Vaters gefunden. Rechnungen. Heute bin ich zu der Firma, beziehungsweise der Frau, der die Firma gehört, und die die Rechnungen bezahlt hat.«
»Dein Vater hat etwas verkauft? Was denn?« erkundigte sich Luke erstaunt.
»XY 0815. Jeden Monat, seit dreißig Jahren. Ich habe keine Ahnung was das ist, nur dass es zuletzt 100.000
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