Kinder Des Nebels
bedacht, seine Robe vom Blut fernzuhalten. Vin wandte sich an den Terriser und war froh, dass seine Bewegungen sie von einem besonders übel zugerichteten Leichnam ablenkten. Kelsier war ein Nebelgeborener und Docksohn vermutlich ein fähiger Krieger. Hamm und seine Männer sicherten das Gelände. Dennoch waren die anderen - Weher, Yeden und Keuler - nicht mit hineingegangen. Es war zu gefährlich hier. Kelsier hatte sogar Vins Wunsch, ihn zu begleiten, zunächst abgelehnt.
Doch Sazed hatte er anscheinend ohne Zögern erlaubt, den Unterschlupf zu betreten. Aufgrund dieser Tatsache betrachtete Vin den Diener mit neu erwachtem Interesse. Warum war es hier für Nebelinge zu gefährlich, nicht aber für einen Diener aus Terris? War Sazed ein Krieger? Wo hatte er zu kämpfen gelernt? Angeblich wurden die Terriser von Geburt an sehr sorgfältig ausgebildet.
Sazeds geschmeidige Schritte und seine kühle Miene gaben ihr nur wenige Hinweise. Jedenfalls schien er über dieses Gemetzel nicht sonderlich entsetzt zu sein.
Bemerkenswert,
dachte Vin und bahnte sich einen Weg durch die zerschlagenen Möbel zu Kelsier, wobei sie die Blutlachen vermied. Kelsier hockte neben zwei Leichen. Eine war Ulef, wie Vin in einem Augenblick des Erschreckens bemerkte. Sein Gesicht war verzerrt und kündete von starken Schmerzen; seine Brust war nur noch eine Masse aus gebrochenen Knochen und aufgeschlitztem Fleisch - als ob ihm jemand mit bloßen Händen den Brustkorb aufgerissen hätte. Vin erzitterte und schaute weg.
»Das ist nicht gut«, sagte Kelsier ruhig. »Normalerweise geben sich Stahlinquisitoren nicht mit einfachen Diebesbanden ab. Und Obligatoren würden mit ihren Truppen herkommen, alle gefangen nehmen und den Tag der Hinrichtung zu einem großen Schauspiel machen. Ein Inquisitor wird nur dann tätig, wenn er ein besonderes Interesse an der Bande hat.«
»Du glaubst ...«, sagte Vin. »Du glaubst, es könnte derselbe wie zuvor sein?«
Kelsier nickte. »Im gesamten Letzten Reich gibt es nur etwa zwanzig Stahlinquisitoren, und die Hälfte von ihnen befindet sich außerhalb von Luthadel. Es kann kein Zufall sein, dass dein Unterschlupf auseinandergenommen wird, nachdem du die Aufmerksamkeit eines Inquisitors erregt hast und ihm entkommen bist.«
Reglos stand Vin da und zwang sich, Ulefs Leichnam anzusehen und sich ihrer Trauer zu stellen. Er hatte sie am Ende verraten, aber eine Zeit lang war er beinahe so etwas wie ein Freund für sie gewesen.
»Also ist mir der Inquisitor noch immer auf der Spur?«, fragte sie leise.
Kelsier nickte und rührte sich nicht von der Stelle. »Dann ist es meine Schuld«, sagte Vin. »Ulef und die anderen ...«
»Es war Camons Schuld«, berichtigte Kelsier sie. »Er war derjenige, der versucht hat, einen Obligator zu hintergehen.« Er hielt inne und sah hinüber zu ihr. »Alles in Ordnung mit dir?«
Vin schaute von Ulefs zerrissenem Körper auf und bemühte sich, stark zu bleiben. Sie zuckte die Achseln. »Keiner von ihnen war mein Freund.«
»Das nenne ich kaltblütig, Vin.«
»Ich weiß«, sagte sie und nickte leicht.
Kelsier betrachtete sie eine Weile, durchquerte den Raum und redete mit Docksohn.
Vin sah wieder hinunter auf Ulefs Wunden. Sie wirkten, als seien sie ihm nicht von einem Menschen, sondern von einem wahnsinnigen Tier zugefügt worden.
Der Inquisitor muss Hilfe gehabt haben,
sagte Vin zu sich selbst.
Kein Mensch, nicht einmal ein Inquisitor, kann das allein angerichtet haben.
In der Nähe des Notausgangs lag ein aufgeschichteter Leichenhaufen, und eine rasche Zählung verriet ihr, dass die meisten Bandenmitglieder dem Überfall zum Opfer gefallen waren. Ein einzelner Mann hätte nicht so schnell mit ihnen allen gleichzeitig fertigwerden können ... oder?
Es gibt eine Menge, was wir über die Inquisitoren nicht wissen,
hatte Kelsier zu ihr gesagt.
Sie folgen nicht den normalen Regeln.
Vin erzitterte abermals.
Schritte ertönten auf der Treppe draußen. Vin spannte sich an, duckte sich und machte sich fluchtbereit.
Hamms vertraute Gestalt erschien am Ende der Treppe. »Das Gelände ist gesichert«, erklärte er und hielt eine weitere Laterne hoch. »Keine Anzeichen von Obligatoren oder Soldaten.«
»Das ist ihr Stil«, sagte Kelsier. »Sie wollten, dass das Massaker entdeckt wird - sie haben die Toten als Zeichen zurückgelassen.«
Im Raum wurde es still; nur Sazed, der an der linken Seite des Zimmers stand, murmelte etwas. Vin bahnte sich einen Weg zu ihm und lauschte den
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