Kinder Des Nebels
Ausbildung anbelangte. Er erlaubte ihr jede Nacht, wieder für kurze Zeit nach draußen zu gehen, damit sie ihre Fähigkeiten nicht verlor, aber extreme, erregende Sprünge waren ihr verboten. Sie durfte nur ein wenig an kleinen, auf dem Boden liegenden Gegenständen ziehen und gegen sie drücken.
Ihre anhaltende Schwäche enttäuschte sie. Die Begegnung mit dem Inquisitor lag nun schon drei Monate zurück; der größte Teil des Winters war bereits vergangen, ohne dass auch nur eine einzige Schneeflocke gefallen wäre. Wie lange sollte ihre Erholungsphase denn noch dauern?
Wenigstens kann ich auf die Bälle gehen,
dachte sie. Trotz ihrer Verärgerung über die andauernden Reisen genoss Vin ihre Pflichten allmählich. So zu tun, als wäre sie eine Adlige, war doch viel weniger anstrengend als richtiges Diebeswerk. Natürlich wäre ihr Leben verwirkt, falls ihr Geheimnis entdeckt werden sollte, doch im Augenblick schienen die Adligen sie anzuerkennen. Man tanzte mit ihr, aß mit ihr und plauderte mit ihr. Es war ein gutes Leben - nicht gerade aufregend, aber ihre spätere Rückkehr zur Allomantie würde das wieder beheben.
Es blieben ihr nur zwei Gründe, enttäuscht zu sein. Der erste bestand in ihrer Unfähigkeit, wichtige Informationen zu sammeln. Es ärgerte sie immer mehr, dass man ihren Fragen auswich. Sie war inzwischen so erfahren, dass sie die vielen Intrigen um sie herum wahrnahm, aber als Neuling wurde sie nicht darin einbezogen.
Vin ärgerte sich über ihren Außenseiter-Status, doch Kelsier war zuversichtlich, dass sich dieser bald ändern würde. Mit dem zweiten Grund für ihren Zorn konnte sie nicht so leicht umgehen. Graf Elant Wager hatte während der letzten Wochen auf etlichen Bällen gefehlt und keinen ganzen Abend mehr mit ihr verbracht. Zwar musste sie nur selten allein sitzen, doch sie hatte rasch bemerkt, dass die anderen Adligen nicht dieselbe Tiefe wie Elant besaßen. Keiner von ihnen hatte Elants drolligen Humor oder seine ehrlichen, ernsten Augen. Die anderen erschienen ihr als nicht
wirklich.
Als nicht so wirklich wie er.
Zwar ging er ihr nicht aus dem Weg, doch er bemühte sich auch nicht, viel Zeit mit ihr zu verbringen.
Habe ich ihn falsch eingeschätzt?,
fragte sie sich, als die Kutsche Fellise erreichte. Manchmal war Elant so schwer zu verstehen. Leider hatte seine Wankelmütigkeit die Wut seiner früheren Verlobten nicht gedämpft. Allmählich begriff Vin, warum Kelsier sie davor gewarnt hatte, die Aufmerksamkeit allzu wichtiger Personen zu erregen. Zum Glück begegnete sie Schan Elariel nicht oft, aber wenn es doch geschah, ergriff Schan jede Gelegenheit, Vin zu verhöhnen, zu beleidigen und herabzusetzen. Sie tat dies auf ruhige, aristokratische Art, und schon ihre Haltung zeigte Vin, wie unbedeutend sie in Schans Augen war.
Vielleicht gehe ich zu sehr in meiner Rolle als Valette auf,
dachte Vin. Valette war nur eine Maske, und sie sollte all das sein, was Schan ihr vorwarf. Dennoch trafen die Beleidigungen sie tief.
Vin schüttelte den Kopf und verdrängte sowohl Schan als auch Elant aus ihren Gedanken. Während ihrer Reise in die Stadt war Asche gefallen, und auch wenn es nun vorbei war, trieben noch immer kleine Wehen und einzelne Flocken über die Straßen der Stadt. Skaa-Arbeiter waren bereits dabei, die Asche in Kübel zu fegen und diese aus der Stadt zu tragen. Manchmal mussten sie sich vor herannahenden Adelskutschen in Sicherheit bringen, die wegen der Arbeiter nicht langsamer wurden.
Arme Wichte,
dachte Vin, als sie an einer Gruppe abgerissener Kinder vorbeikam, welche die Birken schüttelten, damit die Asche aus ihnen fiel und aufgekehrt werden konnte. Es wäre unerträglich, wenn ein Adliger des Weges käme und ihm unerwartet Asche aus einem Baum auf den Kopf fiele. Je zwei Kinder schüttelten einen Baum, und wütende schwarze Schauer regneten auf sie herab. Stäbe schwingende Zuchtmeister gingen die Straße auf und ab und sorgten dafür, dass die Arbeit nicht unterbrochen wurde.
Elant und die anderen können nicht wissen, wie schrecklich das Dasein der Skaa ist,
dachte sie.
Sie leben in hübschen Festungen, sie tanzen, sie begreifen das Ausmaß der Unterdrückung nicht, die der Oberste Herrscher zu verantworten hat.
Sie vermochte durchaus die Schönheiten des Adelsstandes zu erkennen; sie war nicht wie Kelsier, der nur Hass für die Aristokratie übrighatte. Manche schienen auf ihre eigene Weise recht freundlich zu sein, und Vin glaubte allmählich, dass
Weitere Kostenlose Bücher