Kinder Des Nebels
Seife konnte man sogar weiße Sachen vollständig säubern. Das war der Grund, warum die Adligen stets wie neu aussehende Kleider trugen. Es war so einfach, die Skaa vom Adel zu unterscheiden.
Kelsier hat Recht,
dachte Vin.
Allmählich genieße ich es, eine Adlige zu sein.
Sie machte sich Sorgen über die inneren Veränderungen, die dieser neue Lebensstil in ihr hervorrief. Früher hatte sie Verhungern und Schläge fürchten müssen - nun hingegen waren es lange Kutschfahrten und Verspätungen bei einer Einladung. Was richteten solche Veränderungen bei einem Menschen an?
Sie seufzte und ging inmitten der Vorräte umher. Einige der Kisten waren sicherlich mit Waffen - Schwertern, Kriegslanzen und Bogen - gefüllt, doch das meiste waren Nahrungsmittel. Kelsier hatte gesagt, dass es mehr Getreide als Stahl bedürfe, um eine Armee auszurüsten.
Sie fuhr mit den Fingern über einige aufgestapelte Kisten und bemühte sich, die Ascheflecken auf ihnen nicht zu berühren. Sie hatte gewusst, dass heute ein Schiff ablegte, aber sie hatte nicht erwartet, dass Kelsier darauf mitfuhr. Vermutlich hatte er diese Entscheidung erst vor kurzem getroffen, denn auch der neue, verantwortungsbewusstere Kelsier war noch immer ein impulsiver Mensch. Vielleicht war das eine gute Eigenschaft bei einem Anführer. Er hatte keine Angst, neue Ideen aufzunehmen, egal, wann sie ihm kamen.
Vielleicht sollte ich ihn fragen, ob ich ihn begleiten kann,
dachte Vin müßig.
In der letzten Zeit habe ich die Rolle der Adligen zu oft gespielt.
Vor kurzem hatte sie sich dabei ertappt, wie sie steif und geziert in ihrer Kutsche gesessen hatte, obwohl sie allein gewesen war. Sie befürchtete schon, ihre Instinkte zu verlieren - Valette zu sein, war für sie inzwischen fast so normal, wie Vin zu sein.
Aber natürlich konnte sie jetzt nicht fortgehen. Sie hatte eine Verabredung zum Mittagessen mit Herrin Flavine, und vom Hasting-Ball ganz zu schweigen, denn er war das gesellschaftliche Ereignis des Monats. Wenn Valette nicht daran teilnahm, würde es Wochen dauern, den angerichteten Schaden zu beheben. Außerdem war da noch Elant. Vermutlich würde er sie vergessen, wenn sie erneut verschwand.
Er hat dich schon vergessen,
sagte sie zu sich selbst.
Auf den letzten drei Festen hat er kaum mit dir gesprochen. Behalte einen kühlen Kopf, Vin. Das ist alles nur ein weiterer Betrug - ein Spiel wie die, die du selbst schon gespielt hast. Du schaffst dir einen Ruf, damit du an Informationen herankommst, und nicht damit du herumschäkern und mit den Männern spielen kannst.
Sie nickte entschlossen. Neben ihr beluden einige Skaa-Männer einen Karren. Vin blieb bei einem hohen Turm aus Kisten stehen und beobachtete die Männer bei der Arbeit. Docksohn zufolge erhielt die Armee immer mehr Rekruten.
Die Sache kommt in Schwung,
dachte Vin.
Ich vermute, die Nachricht von der bevorstehenden Rebellion verbreitet sich allmählich.
Das war gut - vorausgesetzt, sie verbreitete sich nicht
allzu
weit.
Sie sah den Packern noch ein wenig zu und spürte etwas Seltsames. Die Männer schienen nicht recht bei der Sache zu sein. Nach einigen Augenblicken erkannte sie die Quelle der Ablenkung. Sie schauten andauernd hinüber zu Kelsier und unterhielten sich im Flüsterton. Vin näherte sich ihnen, blieb aber durch die Kisten verborgen und verbrannte Zinn.
»... nein, das ist er ganz bestimmt«, raunte einer der Männer. »Ich habe die Narben gesehen.«
»Er ist groß«, sagte ein anderer.
»Natürlich ist er das. Was hast du denn erwartet?«
»Er hat auf der Versammlung gesprochen, bei der ich rekrutiert worden bin«, meinte ein anderer. »Der Überlebende von Hathsin.« Ehrfurcht lag in seiner Stimme.
Die Männer holten weitere Kisten. Vin hielt den Kopf schräg und ging lauschend an den Arbeitern vorbei. Nicht alle redeten über Kelsier, aber er war doch der Gesprächsgegenstand erstaunlich vieler. Auch hörte sie, dass oft das »Elfte Metall« erwähnt wurde.
Das ist es also,
dachte Vin.
Nicht die Rebellion gewinnt an Schwung, sondern Kelsier selbst.
Die Männer redeten leise und beinahe ehrerbietig über ihn. Aus irgendeinem Grund empfand Vin das als unangenehm. Sie würde es nie ertragen, etwas Ähnliches über sich selbst zu hören, doch Kelsier bewältigte dies mühelos. Vermutlich befeuerte seine charismatische Persönlichkeit die Gerüchte noch.
Ich frage mich, ob er von alldem lassen kann, wenn es vorbei ist.
Die anderen Bandenmitglieder hatten offenbar kein
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