Kinder Des Nebels
sehr jung war«, sagte Marsch. »Ich hatte viel Zeit zum Üben.«
»Das haben viele andere Menschen auch«, sagte Vin.
»Ich hatte ... meine Gründe. Sie sind schwer zu erklären.«
»Das sind sie immer«, sagte Vin und erhöhte ihren allomantischen Druck leicht.
»Du weißt, was Kelsier vom Adelsstand hält?«, fragte Marsch und drehte sich ihr zu. Seine Augen waren kalt wie Eis.
Eisenaugen,
dachte sie.
Wie man mir gesagt hat.
Sie nickte.
»Ich hege dieselben Gefühle gegenüber den Obligatoren«, sagte er und wandte sich wieder ab. »Ich würde alles tun, um ihnen Schaden zuzufügen. Sie haben uns unsere Mutter genommen. Damals hat es in mir geschnappt, und ich habe geschworen, sie zu vernichten. Also habe ich mich der Rebellion angeschlossen und so viel wie möglich über Allomantie gelernt. Die Inquisitoren benutzen sie, und daher musste ich ihre Wirkungsweise begreifen. Ich musste so viel wie möglich verstehen und so gut wie möglich werden, und du besänftigst mich gerade, oder?«
Vin zuckte zusammen und löschte sofort ihre Metalle. Marsch drehte sich wieder zu ihr hin; seine Miene drückte Kälte aus.
Lauf weg!,
rief Vin sich selbst zu. Beinahe hätte sie es getan. Es war gut zu wissen, dass die alten Instinkte noch da waren, auch wenn sie ein wenig verschüttet waren.
»Ja«, sagte sie sanft.
»Du
bist
gut«, sagte Marsch. »Ich hätte es nicht bemerkt, wenn mir nicht plötzlich aufgefallen wäre, dass ich herumplappere. Hör auf damit.«
»Schon geschehen.«
»Gut«, meinte Marsch. »Das war das zweite Mal, dass du meine Gefühle verändert hast. Tu das nie wieder.« Vin nickte. »Das zweite Mal?«
»Das erste Mal hast du es in meinem Laden getan, vor acht Monaten.«
Das stimmt. Warum war mit das entfallen?
»Es tut mir leid.«
Marsch schüttelte den Kopf und schaute weg. »Du bist eine Nebelgeborene. Er macht es genauso.« Er schaute hinunter auf Kelsier.
Eine Weile saßen sie schweigend da.
»Marsch?«, fragte Vin schließlich. »Woher wusstest du, dass ich eine Nebelgeborene bin? Damals konnte ich nur besänftigen.«
Marsch schüttelte den Kopf. »Du hast instinktiv von den anderen Metallen gewusst. An jenem Tag hattest du Weißblech und Zinn verbrannt - nur ein klein wenig, und es war kaum zu bemerken. Vermutlich hattest du die Metalle aus dem Wasser und deinem Essbesteck. Hast du dich nie gefragt, warum du immer überlebt hast, wo doch so viele andere gestorben sind?«
Vin hielt inne.
Ich habe eine Menge Schläge abbekommen. Ich habe viele Tage ohne Nahrung zugebracht und die Nächte in Gassen geschlafen, im Regen aus Asche oder Wasser ...
Marsch nickte. »Auch unter den Nebelgeborenen stehen nur sehr wenige Menschen so in Einklang mit der Allomantie, dass sie die Metalle instinktiv verbrennen. Das ist es, was mich an dir interessiert und warum ich deine Spur aufgenommen und Docksohn gesagt habe, wo er dich finden kann. Drückst du jetzt wieder gegen meine Gefühle?«
Vin schüttelte den Kopf. »Ich schwöre.«
Marsch runzelte die Stirn und bedachte sie mit seinem steinernen Blick.
»So streng«, sagte Vin leise. »Wie mein Bruder.«
»Habt ihr euch nahegestanden?«
»Ich habe ihn gehasst«, flüsterte Vin.
Marsch schwieg und senkte den Blick. »Ich verstehe.«
»Hasst du Kelsier auch?«
Marsch schüttelte den Kopf. »Nein, ich hasse ihn nicht. Er ist leichtfertig und wichtigtuerisch, aber er ist mein Bruder.«
»Und das reicht aus?«, fragte Vin. Marsch nickte.
»Ich ... habe Schwierigkeiten, das zu verstehen«, sagte Vin aufrichtig und richtete den Blick auf die Skaa und die Kisten und Säcke.
»Ich nehme an, dein Bruder hat dich nicht gut behandelt?« Vin schüttelte den Kopf.
»Was ist mit deinen Eltern?«, fragte Marsch. »Dein Vater war ein Adliger. Und deine Mutter?«
»Verrückt«, sagte Vin. »Sie hat Stimmen gehört. Es wurde so schlimm, dass mein Bruder Angst hatte, wenn wir allein mit ihr waren. Natürlich blieb ihm nichts anderes übrig ...«
Marsch saß still da und sagte nichts.
Wieso ist der Spieß nun umgedreht?,
dachte Vin.
Er ist kein Besänftiger und bekommt doch genauso viel aus mir heraus, wie ich aus ihm herausbekommen habe.
Aber es tat gut zu reden. Sie hob die Hand und spielte an ihrem Ohrring. »Ich erinnere mich nicht daran«, fuhr sie fort, »aber Reen hat immer gesagt, er sei eines Tages nach Hause gekommen und habe meine Mutter blutbeschmiert angetroffen. Sie hatte meine kleine Schwester getötet. Auf furchtbare Weise. Mich aber hatte
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