Kinder Des Nebels
sie nicht angerührt; mir hatte sie lediglich einen Ohrring angesteckt. Reen sagte ... er sagte, ich habe auf ihrem Schoß gesessen, und sie habe herumgeplappert und mich als Königin bezeichnet, während der Leichnam meiner Schwester zu meinen Füßen lag. Er hat mich meiner Mutter weggenommen, und sie ist geflohen. Vermutlich hat er mir das Leben gerettet. Das ist wohl einer der Gründe, warum ich bei ihm geblieben bin. Obwohl er ein schlechter Mensch war.«
Sie schüttelte den Kopf und sah Marsch an. »Du weißt nicht, wie glücklich du dich schätzen kannst, einen Bruder wie Kelsier zu haben.«
»Mag sein«, entgegnete Marsch. »Ich wünschte mir nur, er würde die Menschen nicht wie Spielzeuge benutzen. Es ist bekannt, dass ich einige Obligatoren umgebracht habe, doch Menschen zu töten, nur weil sie dem Adelsstand angehören ...« Marsch schüttelte den Kopf. »Aber es ist nicht nur das. Er mag es, wenn die Leute vor ihm kriechen.«
Er hatte nicht ganz Unrecht. Doch Vin bemerkte etwas anderes in seiner Stimme. War es Eifersucht?
Du bist der ältere Bruder, Marsch. Du hattest die Verantwortung. Du hast dich der Rebellion angeschlossen, anstatt mit Dieben zu arbeiten. Es muss wehtun, dass nun Kelsier jedermanns Liebling ist.
»Aber er bessert sich allmählich«, fuhr Marsch fort. »Die Gruben haben ihn verändert. Und ihr ... Tod hat ihn verändert.«
Was ist denn das?,
dachte Vin und schaute auf. Da war doch noch etwas. Schmerz. Eine tiefe Wunde und stärkere Gefühle, als ein Mann für seine Schwägerin empfinden sollte.
Das ist es also. Es ist nicht nur »jedermann«, der Kelsier dir vorzieht, sondern es war vor allem ein besonderer Mensch. Jemand, den du geliebt hast.
»Wie dem auch sei«, meinte Marsch mit festerer Stimme, »seine frühere Überheblichkeit hat er abgelegt. Sein Plan ist zwar verrückt, und ich bin mir sicher, dass er ihn auch deshalb in die Tat umsetzt, weil er reich werden will, aber ... nun, dafür braucht er die Rebellion eigentlich nicht. Er versucht tatsächlich, etwas Gutes zu tun, obgleich es ihn vermutlich umbringen wird.«
»Warum machst du mit, wenn du der Meinung bist, dass es ein Fehlschlag wird?«
»Weil er mich ins Ministerium einschleusen will«, erklärte Marsch. »Die Informationen, die ich dort sammeln kann, werden der Rebellion noch helfen, wenn Kelsier und ich schon jahrhundertelang tot sind.«
Vin nickte und warf einen Blick hinunter auf den Innenhof.
Zögernd sagte sie: »Marsch, ich glaube nicht, dass er sein altes Selbst ganz hinter sich gelassen hat. Die Art, wie er sich mit den Skaa verbündet hat ... die Art, wie sie ihn ansehen ...«
»Ich weiß«, meinte Marsch. »Es hat mit seinem Plan für das Elfte Metall angefangen. Ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen machen. Kelsier spielt nur wieder einmal eines seiner üblichen Spielchen.«
»Ich frage mich, warum er auf diese Reise geht«, wunderte sich Vin. »Er wird länger als einen Monat weg sein.«
Marsch schüttelte den Kopf. »Er wird eine ganze Armee haben, der er etwas vorspielen kann. Außerdem muss er die Stadt verlassen. Sein Ruf wird allmählich zu einem Hindernis für ihn, und das Interesse des Adels an dem Überlebenden wächst beständig. Wenn sich das Gerücht verbreiten sollte, dass ein Mann mit Narben an den Armen beim Grafen Renoux lebt ...«
Vin nickte verständnisvoll.
»Im Augenblick spielt er die Rolle eines entfernten Verwandten von Renoux. Und dieser Mann muss abreisen, bevor ihn jemand mit dem Überlebenden in Verbindung bringt. Wenn Kell zurückkommt, wird er den Kopf einziehen und sich ins Haus stehlen müssen, anstatt die Vordertreppe zu benutzen, und er wird seine Kapuze aufsetzen müssen, wenn er in Luthadel ist.«
Marsch verstummte und erhob sich. »Wie dem auch sei, ich habe dir jetzt die Grundlagen beigebracht. Nun musst du üben. Wann immer du in Gesellschaft von Nebelingen bist, solltest du sie dazu bringen, dass sie für dich Metalle verbrennen, und dann musst du dich auf ihr allomantisches Pulsieren konzentrieren. Wenn wir uns wiedersehen, zeige ich dir noch mehr, aber ich kann nichts für dich tun, bis du nicht mehr Übung hast.«
Vin nickte, und Marsch durchschritt die Tür, ohne ihr Lebewohl zu sagen. Kurze Zeit später sah sie, wie er auf Kelsier und Renoux zuging.
Sie hassen sich wirklich nicht,
dachte sie und stützte sich mit beiden Armen auf der Brüstung ab.
Wie mag das wohl sein?
Nach einigen Überlegungen kam sie zu dem Schluss, dass die Vorstellung
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