Kinder Des Nebels
Bewahrer gegründet, deren Mitglieder das Verlorengegangene wiederentdecken und für die Zukunft erhalten sollten.«
»Mithilfe von Ferrochemie?«
Sazed nickte und rieb mit den Fingern über den Reif an seinem rechten Arm. »Dieser hier besteht aus Kupfer; er erlaubt mir die Speicherung von Erinnerungen und Gedanken. Jeder Bewahrer besitzt mehrere Ringe wie diesen, die angefüllt mit Wissen sind: Musik, Geschichten, Gebete, historische Begebenheiten und Sprachen. Viele Bewahrer haben besondere Interessensgebiete - meines ist die Religion -, aber wir alle erinnern uns an alles, was wir gesammelt haben. Wenn nur einer von uns bis zum Tod des Obersten Herrschers überlebt, können die Völker der Welt alles wiederbekommen, was sie verloren haben.«
Er hielt inne und rollte den Ärmel wieder herunter. »Nun ja, nicht
alles,
was verlorengegangen ist. Einiges wird auf immer verschollen sein.«
»Wie deine eigene Religion«, sagte Vin leise. »Du hast sie nie wiederentdecken können, nicht wahr?«
Sazed schüttelte den Kopf. »Der Oberste Herrscher deutet in seinem Tagebuch an, dass es unsere Propheten waren, die ihn zur Quelle der Erhebung führten, aber sogar das ist für uns neu. Was haben wir geglaubt? Was oder wen haben wir angebetet? Woher kamen diese Terris-Propheten, und wie haben sie die Zukunft vorhergesagt?«
»Das ... tut mir leid.«
»Wir suchen weiter, Herrin. Ich glaube, irgendwann werden wir alle Antworten finden. Selbst wenn es nicht so sein sollte, haben wir der Menschheit doch einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Andere Völker mögen uns gelehrsam und unterwürfig nennen, aber wir haben den Obersten Herrscher auf unsere eigene Weise bekämpft.«
Vin nickte. »Was kannst du denn sonst noch speichern? Noch etwas außer Stärke und Erinnerungen?«
Sazed sah sie an. »Ich befürchte, ich habe schon zu viel gesagt. Ihr kennt nun unsere Methoden. Wenn der Oberste Herrscher sie in seinem Text erwähnen sollte, wird Euch das jetzt nicht mehr verwirren.«
»Das Sehen«, sagte Vin und schaute auf. »Das ist der Grund, warum du ein paar Wochen nach meiner Rettung eine Brille getragen hast. Du musstest in jener Nacht, als du mir das Leben gerettet hast, in der Lage sein, besser zu sehen, also hast du deinen Vorrat aufgebraucht. Danach hast du ein paar Wochen mit schwachem Augenlicht verbracht, damit du deine Vorräte auffüllen konntest.«
Sazed gab darauf keine Erwiderung. Er ergriff seine Feder und wollte offenbar wieder an seine Übersetzung zurückkehren. »Ist sonst noch etwas, Herrin?«
»Ja, da gibt es tatsächlich noch etwas«, sagte Vin und zog das Taschentuch aus ihrem Ärmel. »Hast du eine Ahnung, was das hier ist?«
»Das scheint mir ein Taschentuch zu sein, Herrin.«
Vin hob in gespieltem Erstaunen eine Braue.
»Sehr lustig. Du hast zu viel Zeit mit Kelsier verbracht, Sazed.«
»Ich weiß«, seufzte er leise. »Ich fürchte, er hat mich verdorben. Trotzdem verstehe ich Eure Frage nicht. Was ist so besonders an diesem Taschentuch?«
»Das will ich von
dir
wissen«, sagte Vin. »Spuki hat es mir vor kurzem gegeben.«
»Aha. Das ergibt natürlich einen Sinn.«
»Und welchen?«, wollte Vin wissen.
»In Adelskreisen ist ein Taschentuch das traditionelle Geschenk eines jungen Mannes an eine Dame, um die er zu werben wünscht.«
Vin betrachtete entsetzt das Taschentuch.
»Was?
Ist dieser Junge denn verrückt?«
»Die meisten Jungen in seinem Alter sind ein wenig verrückt, glaube ich«, meinte Sazed mit einem Lächeln. »Aber es kommt wohl kaum unerwartet. Habt Ihr nicht bemerkt, wie er Euch anstarrt, wenn Ihr das Zimmer betretet?«
»Ich war bisher bloß der Meinung, dass er etwas gruselig ist. Was denkt er sich bloß dabei. Er ist doch viel jünger als ich.«
»Der Knabe ist fünfzehn, Herrin. Damit ist er nur ein Jahr jünger als Ihr.«
»Zwei«, berichtigte Vin ihn. »Ich bin letzte Woche siebzehn geworden.«
»Trotzdem ist er nicht viel jünger als Ihr.«
Vin rollte mit den Augen. »Ich habe keine Zeit für seine Gunstbezeugungen.«
»Eigentlich sollte man glauben, dass Ihr die Aufmerksamkeiten schätzt, die Ihr erhaltet. Nicht jeder hat so viel Glück.«
Er ist ein Eunuch, du Dummkopf,
dachte Vin. »Sazed, es tut mir leid. Ich ...«
Sazed machte eine abwehrende Handbewegung. »Das ist etwas, das ich nie gekannt habe und daher auch nicht vermisse, Herrin. Vielleicht kann ich mich glücklich preisen, denn ein Leben im Untergrund macht es nicht leicht, eine Familie zu
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