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Kinder Des Nebels

Kinder Des Nebels

Titel: Kinder Des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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Gehör; er behauptete nur, sie besitze einfach noch nicht genug Übung darin. Begriff er denn nicht, dass Lesen eine weitaus weniger praktische Fähigkeit war als der Umgang mit einem Dolch oder der Gebrauch von Allomantie?
    Doch sie las auf seine Anweisung hin weiter - und sei es nur, um stur zu beweisen, dass sie dazu in der Lage war. Viele Worte in dem Tagebuch waren für sie schwierig zu verstehen, und sie musste in einem abgetrennten Teil des Hauses Renoux lesen, wo sie sich die Worte laut vorsprechen konnte, während sie versuchte, den seltsamen Stil des Obersten Herrschers zu entziffern.
    Die fortgesetzte Lektüre führte sie noch zu einem zweiten Schluss: Der Oberste Herrscher war viel weinerlicher, als es ein Gott sein sollte. Wenn die Seiten des Tagebuchs einmal nicht mit langweiligen Notizen über seine Reisen angefüllt waren, dann waren sie voller innerer Betrachtungen und langatmiger moralischer Abschweifungen. Allmählich wünschte sich Vin, sie hätte dieses Buch nie gefunden.
    Seufzend lehnte sie sich in ihrem Korbsessel zurück. Eine kühle Vorfrühlingsbrise wehte durch die unteren Gärten und über den kleinen Quellstrom zu ihrer Linken. Die Luft war angenehm feucht, und die Bäume schirmten sie vor der Nachmittagssonne ab. Der Adel - und auch der Scheinadel - hatte eindeutig seine Vorzüge.
    Leise Schritte ertönten hinter ihr. Sie waren noch fern, doch Vin hatte sich angewöhnt, immer ein wenig Zinn in ihrem Innern brennen zu lassen. Sie drehte sich um und warf einen verstohlenen Blick über die Schulter.
    »Spuki?«, sagte sie überrascht, als der junge Lestiborner den Gartenpfad herunterkam. »Was machst du denn hier?
    Spuki erstarrte und wurde rot. »Bin mit Dox gekomm.«
    »Mit Docksohn?«, fragte Vin. »Er ist auch hier?«
Vielleicht bringt er Nachrichten von Kelsier!
    Spuki nickte und kam näher. »Waffn fürs erstemal hier.«
    »Das habe ich nicht verstanden.«
    »Mussten paar Waffen hierherbringen«, erklärte Spuki und bemühte sich, verständlicher zu sprechen. »Se hier lagern für ne Weil.«
    »Ah«, sagte Vin, stand auf und glättete ihr Kleid. »Ich sollte zu ihm gehen.«
    Plötzlich wirkte Spuki nervös. Er wurde wieder rot, und Vin hielt den Kopf schräg. »Ist da noch etwas?«
    Mit einer plötzlichen Bewegung griff Spuki in seine Westentasche und zog etwas hervor. Vin fachte sofort ihr Weißblech an, doch es handelte sich lediglich um ein Taschentuch in Rosa und Weiß. Spuki warf es ihr zu.
    Zögernd fing Vin es auf. »Wozu ist denn das?«
    Spuki errötete noch einmal, drehte sich um und schoss davon.
    Verblüfft sah Vin ihm nach; dann warf sie einen Blick auf das Taschentuch. Es bestand aus weicher Spitze, aber es schien nichts Ungewöhnliches daran zu sein.
    Was für ein seltsamer Junge,
dachte sie und stopfte sich das Taschentuch in den Ärmel. Sie nahm ihr Exemplar des Tagebuchs wieder auf und schritt damit über den Gartenpfad. Inzwischen hatte sie sich so sehr daran gewöhnt, ein Kleid zu tragen, dass sie kaum mehr darauf achten musste, die unteren Partien von Stein und Gras fernzuhalten.
    Ich vermute, das ist bereits für sich genommen eine wertvolle Fähigkeit,
dachte Vin, als sie den Eingang zum Garten erreicht hatte, ohne auch nur an einem einzigen Zweig hängen geblieben zu sein. Sie drückte die Glastür mit den vielen kleinen Scheiben auf und hielt den ersten Diener an, dem sie begegnete.
    »Ist Meister Delton eingetroffen?«, fragte sie, indem sie Docksohns falschen Namen gebrauchte. Er spielte die Rolle eines Kaufmanns aus Luthadel, mit dem Renoux in Kontakt stand.
    »Ja, Herrin«, antwortete der Diener. »Er befindet sich gerade im Gespräch mit Graf Renoux.«
    Vin entließ den Diener. Vermutlich konnte sie sich einfach zu diesem Gespräch gesellen, doch das würde nicht gut aussehen. Herrin Valette hatte keinen Grund, an einer geschäftlichen Unterredung zwischen Renoux und Delton teilzunehmen.
    Nachdenklich nagte Vin an ihrer Unterlippe. Sazed sagte ihr andauernd, sie müsse den Schein wahren.
Prima,
dachte sie.
Ich warte. Vielleicht kann Sazed mir sagen, was ich nach der Meinung dieses verrückten Jungen mit dem Taschentuch anstellen soll.
    Sie begab sich in die obere Bibliothek. Äußerlich zeigte sie ein damenhaftes Lächeln, doch innerlich versuchte sie sich vorzustellen, worüber Renoux und Docksohn gerade redeten. Das Abladen der Waffen war sicherlich nur eine Ausrede; wegen etwas so Alltäglichem wäre Docksohn nicht persönlich hergekommen. Vielleicht

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