Kinder Des Nebels
gutmütig zu sein. Keuler saß schweigend an der Seitenwand und wirkte so griesgrämig wie immer, doch Vin bemerkte ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Kelsier stand auf und öffnete eine weitere Flasche Wein. Er goss den anderen nach, während er ihnen über die Vorbereitungen berichtete.
Vin fühlte sich ... zufrieden. Sie nippte an ihrem Wein und warf dabei einen Blick auf die offene Tür, die in den dunklen Werkraum führte. Einen Augenblick lang stellte sie sich vor, sie könnte dort in den Schatten eine Gestalt erkennen - ein verängstigtes, schmächtiges Mädchen, das voller Misstrauen war. Sein Haar war kurz und zerzaust, und es trug ein einfaches, schmutziges Hemd, das über der braunen Hose hing.
Vin erinnerte sich an jene zweite Nacht in Keulers Laden, als sie in dem dunklen Werkraum gestanden und die anderen bei ihrer spätabendlichen Besprechung beobachtet hatte. War sie wirklich jenes Mädchen gewesen, das sich in der kalten Dunkelheit versteckt und mit unterdrücktem Neid dem freundschaftlichen Lachen gelauscht, aber nicht gewagt hatte, sich zu den anderen zu gesellen?
Kelsier machte eine besonders witzige Bemerkung, und der ganze Raum wurde von Gelächter erschüttert.
Du hattest Recht, Kelsier,
dachte Vin und lächelte.
Das hier ist besser.
Sie war nicht wie die anderen - noch nicht. Die vergangenen sechs Monate hatten Reens Flüstern nicht zum Verstummen gebracht, und sie glaubte nicht, dass sie je so vertrauensvoll wie Kelsier sein würde. Doch immerhin verstand sie sein Verhalten nun ein wenig.
»In Ordnung«, sagte Kelsier, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich rittlings darauf. »Es scheint so, dass die Armee planmäßig bereitstehen wird, und Marsch befindet sich an seinem Platz. Wir müssen die Sache jetzt vorantreiben. Vin, gab es Neuigkeiten auf dem Ball?«
»Das Haus Tekiel ist verwundbar«, sagte sie. »Seine Verbündeten zerstreuen sich, und die Geier kreisen schon. Man munkelt, dass Schulden und entgangene Geschäfte die Tekiel am Ende des Monats zum Verkauf ihrer Festung zwingen werden. Sie können es sich nicht mehr leisten, die Festungssteuern des Obersten Herrschers zu zahlen.«
»Womit eines der Großen Häuser aus der Stadt vertrieben wäre«, sagte Docksohn. »Die meisten Tekiel-Adligen - eingeschlossen die Nebelinge und die Nebelgeborenen - werden zu den fernen Plantagen gehen müssen, um sich von ihren Verlusten zu erholen.«
»Nett«, merkte Hamm an. Jedes Adelshaus, das sie aus der Stadt scheuchen konnten, machte Luthadels Einnahme leichter.
»Dann verbleiben also nur noch neun Große Häuser«, folgerte Weher.
»Und die haben schon damit angefangen, sich nächtens gegenseitig umzubringen«, sagte Kelsier. »Sie sind nur noch einen Schritt vom offenen Krieg entfernt. Ich vermute, wir werden hier bald einen regelrechten Exodus erleben. Jeder, der nicht in Luthadel umgebracht werden will, wird die Stadt für ein paar Jahre verlassen.«
»Die starken Häuser scheinen aber bisher keine große Angst zu haben«, sagte Vin. »Zumindest geben sie noch Bälle.«
»Ach, das werden sie bis zum Ende tun«, wandte Kelsier ein. »Bälle stellen eine hervorragende Möglichkeit dar, sich mit den Verbündeten zu treffen und ein Auge auf die Feinde zu haben. Die Kriege der Häuser sind im Wesentlichen politisch motiviert, und daher brauchen sie politische Schlachtfelder.«
Vin nickte.
»Hamm«, meinte Kelsier, »wir müssen die Garnison von Luthadel im Auge behalten. Beabsichtigst du noch, morgen deine Soldatenkontakte aufzusuchen?«
Hamm nickte. »Ich kann zwar nichts versprechen, aber es sollte mir möglich sein, einige meiner Kontakte aufzufrischen. Gib mir etwas Zeit, und ich finde heraus, was das Militär plant.«
»Gut«, lobte Kelsier.
»Ich möchte ihn begleiten«, sagte Vin.
»Hamm?«, fragte Kelsier erstaunt.
»Ja. Ich habe noch nie mit einem Schläger zusammengearbeitet. Vermutlich kann Hamm mir das eine oder andere beibringen.«
»Du weißt, wie man Weißblech verbrennt«, wandte Kelsier ein. »Das haben wir bereits geübt.«
»Stimmt«, meinte Vin. Wie sollte sie es ihm nur erklären? Hamm arbeitete ausschließlich mit Weißblech und war darin bestimmt besser als Kelsier.
»Hör auf, das Kind zu plagen«, sagte Weher. »Vermutlich hat sie die Bälle und Festlichkeiten satt. Erlaube ihr doch, noch einmal ein normales Straßenkind zu sein.«
»Na prima«, meinte Kelsier und rollte mit den Augen. Er goss sich einen zweiten Becher Wein ein. »Weher,
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