Kinder Des Nebels
in dessen Leben etwas schiefgegangen war.
Kelsier ist anders,
sagte sie sich mit Nachdruck.
Er wird das Richtige tun.
Doch sie war sich nicht sicher. Hamm mochte es vielleicht nicht verstehen, aber Vin sah die Verlockung. Trotz der Verworfenheit des Adels haftete seinem Leben etwas Berauschendes an. Vin war gefesselt von der Schönheit, der Musik, dem Tanzen. Ihre Faszination war nicht die von Kelsier - sie war nicht an politischen Spielen oder Betrügereien interessiert -, aber sie verstand, warum er gezögert hatte, Luthadel zu verlassen.
Dieses Zögern hatte den alten Kelsier zerstört. Doch es hatte etwas Besseres geschaffen: einen entschlosseneren und weniger selbstsüchtigen Kelsier. Hoffentlich.
Seine früheren Pläne haben ihn das Leben der Frau gekostet, die er geliebt hat. Hasst er den Adel aus diesem Grunde so sehr?
»Hat Kelsier den Adel schon immer verabscheut, Hamm?«, fragte sie.
Hamm nickte. »Aber jetzt ist es schlimmer als früher.«
»Manchmal macht er mir Angst. Es hat den Anschein, als wolle er sie
alle
töten, ohne jeden Unterschied.«
»Darüber mache ich mir auch Sorgen«, gestand Hamm ein. »Diese Sache mit dem Elften Metall ... Es ist fast so, als wolle er sich zu einem Heiligen hochstilisieren.« Er hielt inne und sah Vin an. »Aber mach dir nicht zu viele Gedanken. Weher, Dox und ich haben schon darüber gesprochen. Wir werden Kell zur Rede stellen und ihn ein bisschen an die Kandare zu nehmen versuchen. Er meint es gut, aber manchmal neigt er zu gewissen Übertreibungen.«
Vin nickte. Vor ihnen warteten die üblichen Menschenmengen auf die Erlaubnis, das Stadttor durchschreiten zu dürfen. Sie und Hamm gingen ruhig an der ernsten Gruppe vorbei, die hauptsächlich aus Arbeitern bestand, welche zu den Docks oder den Mühlen am Fluss oder See hinausgesandt wurden, sowie aus Angehörigen des Kleinadels, die eine Reise unternehmen wollten. Sie alle mussten einen guten Grund vorweisen, die Stadt zu verlassen; der Oberste Herrscher kontrollierte den Verkehr innerhalb seines Reiches streng.
Arme Dinger,
dachte Vin, als sie an einer Gruppe verlotterter Kinder vorbeikamen, die Kübel und Schrubber trugen und vermutlich die im Nebel gewachsenen Flechten von den Brustwehren abreiben mussten. Vor ihnen, in der Nähe des Tores, fluchte ein Staatsdiener und schob einen Mann hart aus der Reihe. Der Skaa-Arbeiter fiel zu Boden, rappelte sich wieder auf und schlurfte zum Ende der Schlange. Wenn er nicht aus der Stadt gelassen wurde, konnte er sein Tagwerk nicht vollbringen - und das bedeutete, dass seine Familie keine Lebensmittelmarken bekam.
Vin folgte Hamm am Tor vorbei. Sie gingen durch eine Straße, die an der Stadtmauer entlangführte und an deren Ende Vin einen großen Gebäudekomplex erkannte. Vin hatte sich nie zuvor das Hauptquartier der Garnison angesehen, denn die meisten Diebe hielten sich weit davon entfernt. Doch als sie näher kamen, war Vin vom festungsartigen Aussehen der Anlage überrascht. Große Stacheln staken in den Außenmauern und umgaben den gesamten Komplex. Die Gebäude dahinter waren massig und ganz auf Verteidigung ausgerichtet. Soldaten waren an den Toren postiert und betrachteten jeden Passanten feindselig.
Vin blieb stehen. »Hamm, wie sollen wir denn
da
hineinkommen?«
»Mach dir keine Gedanken«, sagte er und blieb neben ihr stehen. »Ich bin in der Garnison bekannt. Außerdem ist es nicht so schlimm, wie es aussieht. Die Mitglieder der Garnison bemühen sich, einschüchternd zu wirken. Wie du dir vorstellen kannst, sind sie nicht besonders gut gelitten. Die meisten Soldaten da drinnen sind Skaa - Männer, die sich für ein besseres Leben an den Obersten Herrscher verkauft haben. Wann immer es Skaa-Aufstände in der Stadt gibt, leidet die örtliche Garnison besonders unter der Unzufriedenheit. Daher die Verteidigungsanlagen.«
»Also ... kennst du diese Männer?«
Hamm nickte. »Ich bin nicht wie Weher oder Kell, Vin. Ich kann nicht so tun, als ob ich jemand anders wäre. Diese Soldaten haben keine Ahnung, dass ich ein Nebeling bin, aber sie wissen um meine Arbeit im Untergrund. Ich kenne viele dieser Männer schon seit Jahren, und sie haben immer wieder versucht, mich anzuwerben. Das gelingt ihnen oft bei Leuten wie mir, die außerhalb der Gesellschaft leben.«
»Aber du willst sie verraten«, sagte Vin leise und zog Hamm an den Rand der Straße.
»Verraten?«, fragte er. »Nein, das ist kein Verrat. Diese Männer sind Söldner, Vin. Sie sind zum
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