Kinder Des Nebels
seltsam«, fuhr er fort und wandte sich dabei an Vin. Er schritt nicht mit derselben Verzagtheit einher, die Vin sich angewöhnt hatte; es schien ihn nicht einmal zu interessieren, ob er sich von den anderen Skaa abhob oder nicht. »Eigentlich sollte ich diese Stadt nicht vermissen. Luthadel ist die dreckigste und lauteste Stadt im ganzen Letzten Reich. Aber sie hat etwas an sich ...«
»Lebt deine Familie hier?«, fragte Vin.
Hamm schüttelte den Kopf. »Sie wohnt in einem kleineren Ort draußen vor der Stadt. Meine Frau arbeitet dort als Näherin. Sie sagt den Leuten, ich sei in der Garnison von Luthadel beschäftigt.«
»Vermisst du sie nicht?«
»Doch, natürlich«, gestand Hamm. »Es ist schwer. Ich kann nur wenige Monate im Jahr mit meiner Familie verbringen, aber das ist vermutlich besser so. Falls ich einmal bei der Arbeit getötet werden sollte, wird es den Inquisitoren schwerfallen, meine Familie ausfindig zu machen. Ich habe nicht einmal Kell verraten, in welchem Ort sie lebt.«
»Du glaubst, das Ministerium wird sich eine solche Mühe machen?«, fragte Vin. »Ich meine, dann wärest du ja schon tot.«
»Ich bin ein Nebeling, Vin. Das bedeutet, dass all meine Nachkommen einen Anteil adliges Blut in den Adern haben. Meine Kinder könnten sich als Allomanten erweisen, so wie später ihre Kinder. Nein, wenn die Inquisitoren einen Nebeling töten, dann sorgen sie auch dafür, dass all seine Kinder umgebracht werden. Die einzige Möglichkeit, meiner Familie eine gewisse Sicherheit zu geben, besteht darin, dass ich mich von ihr fernhalte.«
»Du könntest doch einfach auf deine allomantischen Fähigkeiten verzichten«, meinte Vin.
Hamm schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage wäre.«
»Wegen der Macht?«
»Nein, wegen des Geldes«, sagte Hamm ehrlich. »Die Schläger - oder Weißblecharme, wie der Adel sie nennt - sind die gesuchtesten Nebelinge. Ein guter Schläger kann gegen ein halbes Dutzend gewöhnlicher Männer bestehen, und er kann mehr heben, bewegen und ertragen als jeder andere. Das ist ungeheuer wichtig, wenn du deine Mannschaft klein halten musst. Nimm ein paar Münzwerfer und etwa fünf Schläger, und du hast eine kleine, bewegliche Armee. Für einen solchen Schutz wird sehr viel bezahlt.«
Vin nickte. »Ich kann verstehen, dass das verlockend ist.«
»Es ist mehr als nur verlockend, Vin. Meine Familie muss nicht in übervölkerten Skaa-Häusern leben und keine Angst vor dem Verhungern haben. Meine Frau arbeitet nur, um den Schein zu wahren. Für Skaa hat meine Familie ein gutes Leben. Sobald ich genug Geld zusammenhabe, gehen wir aus dem Zentralen Dominium fort. Es gibt einige Orte im Letzten Reich, die fast unbekannt sind - Orte, an denen jemand mit genügend Geld das Leben eines Adligen führen kann. Orte, an denen man sich keine Sorgen machen muss, sondern einfach nur leben kann.«
»Das klingt ... verlockend.«
Hamm nickte, wandte sich von Vin ab und führte sie auf einer großen Durchgangsstraße zum Haupttor der Stadt. »Diesen Traum habe ich von Kell. Er hat immer gesagt, dass das sein Ziel ist. Ich hoffe bloß, dass ich mehr Glück haben werde als er ...«
Vin runzelte die Stirn. »Es heißt, er sei sehr reich gewesen. Warum ist er nicht weggegangen?«
»Ich weiß es nicht«, gab Hamm zu. »Es gab immer wieder etwas für ihn zu tun, und jedes Mal war es eine größere Sache als die vorangegangene. Ich vermute, wenn man ein Anführer ist wie er, wird man früher oder später süchtig nach seiner Arbeit. Irgendwann hat ihm das Geld nichts mehr bedeutet. Und schließlich hörte er, dass der Oberste Herrscher ein unschätzbares Geheimnis in seinem verborgenen Tresorraum aufbewahrt. Wenn er und Mare davor weggegangen wären ... nun, sie haben es nicht getan. Ich weiß nicht, vielleicht wären sie nicht glücklich gewesen, wenn sie sich über nichts mehr hätten Sorgen machen müssen.«
Diese Vorstellung schien ihn zu fesseln, und Vin sah, wie sich eine weitere seiner »Fragen« auffat.
Ich vermute, wenn man ein Anführer wie er ist, wird man früher oder später süchtig nach seiner Arbeit.
Ihre anfänglichen Sorgen kehrten zurück. Was würde geschehen, wenn Kelsier den Reichsthron für sich selbst beanspruchte? Er konnte nicht so schlimm wie der Oberste Herrscher sein, aber ... Sie hatte mehr und mehr von dem Tagebuch gelesen. Der Oberste Herrscher war nicht immer ein Tyrann gewesen. Er war früher einmal ein guter Mensch gewesen. Ein guter Mensch,
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