Kinder Des Nebels
einfach nicht.«
»Du klingst, als würdest du noch immer an ihn glauben.« Vin drehte sich um, ging zum Rand des Flachdachs und schaute hinaus auf die stille, dunkle Stadt.
»Das tue ich, Herrin«, sagte Sazed.
»Wieso? Wie kannst du nur?«
Sazed schüttelte den Kopf und trat an ihre Seite. »Der Glaube ist nicht nur etwas für gute Zeiten und helle Tage. Was wäre er denn, wenn man nach einer Niederlage nicht mehr an ihm festhielte?«
Vin runzelte die Stirn.
»Jeder kann an jemanden oder etwas glauben, solange alles gut geht, Herrin. Aber wenn man eine Niederlage einstecken muss, dann ist es schwer, den Glauben aufrechtzuerhalten. So schwer, dass er kaum einen Wert zu haben scheint.«
»Kelsier hat es nicht verdient, dass man immer noch an ihn glaubt«, wandte Vin verständnislos ein.
»Das könnt Ihr nicht ernst meinen, Herrin«, sagte Sazed ruhig. »Ihr seid wütend wegen dem, was geschehen ist. Ihr seid verletzt.«
»O doch, ich meine es ernst«, verteidigte sich Vin und spürte eine Träne auf ihrer Wange. »Er verdient unser Vertrauen nicht. Er hat es nie verdient.«
»Die Skaa sind anderer Meinung. Ihre Legenden über ihn verbreiten sich rasch. Ich werde bald hierher zurückkehren und sie sammeln müssen.«
Vin sah ihn erstaunt an. »Du willst Geschichten über Kelsier sammeln?«
»Natürlich«, sagte Sazed. »Ich interessiere mich für alle Religionen.«
»Wir reden hier nicht über eine Religion, Sazed«, schnaubte Vin. »Hier geht es nur um Kelsier.«
»Dem stimme ich nicht zu. Für die Skaa ist er bereits so etwas wie eine Religionsgestalt.«
»Aber
wir
kennen ihn genau«, wandte Vin ein. »Er war weder ein Prophet noch ein Gott. Er war bloß ein Mensch.«
»Ich glaube, das sind viele von ihnen«, meinte Sazed gelassen.
Vin schüttelte den Kopf. Eine Weile standen sie gemeinsam da und beobachteten die Nacht. »Was ist mit den anderen?«, fragte Vin schließlich.
»Sie besprechen gerade, was sie als Nächstes tun sollen«, antwortete Sazed. »Ich glaube, sie haben entschieden, Luthadel einzeln zu verlassen und Zuflucht in anderen Städten zu suchen.«
»Und ... du?«
»Ich muss nach Norden gehen - in mein Heimatland, das Land der Bewahrer - und dort das Wissen mitteilen, das ich inzwischen besitze. Ich muss meinen Brüdern und Schwestern von dem Tagebuch berichten - besonders von den Worten über unseren Vorfahren, den Mann namens Raschek. Ich glaube, aus dieser Geschichte lässt sich vieles lernen.«
Er verstummte kurz und sah sie an. Dann fuhr er fort: »Auf diese Reise darf ich niemanden mitnehmen, Herrin. Die Aufenthaltsorte der Bewahrer müssen selbst vor Euch geheim bleiben.«
Natürlich,
dachte Vin.
Natürlich geht auch er weg.
»Ich werde zurückkehren«, versprach er.
Sicherlich wirst du das. Wie all die anderen auch.
Die Mannschaft hatte ihr für einige Zeit das Gefühl vermittelt, sie werde gebraucht, doch ihr war von Anfang an klar gewesen, dass es irgendwann zu Ende sein würde. Nun war es Zeit, wieder auf der Straße zu leben. Wieder allein zu sein.
»Herrin ...«, sagte Sazed langsam. »Hört Ihr das?« Sie zuckte die Achseln. Aber ... da war wirklich etwas. Vin zog die Stirn kraus und ging zur anderen Seite des Gebäudes.
Nun wurde es sogar ohne Zinn lauter und deutlicher. Sie spähte über den Rand des Daches.
Eine Gruppe von Skaa-Männern - es waren etwa zehn - stand auf der Straße unter ihr.
Eine Diebesbande?,
fragte sich Vin, während Sazed an ihre Seite trat. Die Gruppe wurde größer, als weitere Skaa furchtsam ihre Behausungen verließen.
»Kommt«, sagte ein Skaa-Mann, der die Gruppe anführte. »Habt keine Angst vor dem Nebel. Hat sich der Überlebende nicht selbst Herr der Nebel genannt? Hat er nicht gesagt, dass wir von dem Nebel nichts zu fürchten haben? Er wird uns sogar beschützen, uns Sicherheit und Kraft geben!«
Als mehr und mehr Skaa aus ihren Häusern kamen und keinen offenbaren Schaden von den Nebelschwaden davontrugen, wuchs die Gruppe immer stärker an.
»Geh und hol die anderen«, sagte Vin.
»Gute Idee«, meinte Sazed und lief hinüber zur Leiter.
»Eure Freunde, eure Kinder, eure Väter, eure Mütter, Frauen und Geliebten«, fuhr der Skaa-Mann fort, während er eine Laterne anzündete und sie hochhielt, »sie alle liegen keine halbe Stunde von hier entfernt tot in den Straßen. Der Oberste Herrscher hat nicht einmal den Anstand besessen, nach seinem Massaker aufzuräumen.«
Zustimmendes Gemurmel drang aus der Menge.
»Selbst
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