Kinder Des Nebels
besänftigende Kraft war derart stark, dass sie nicht einmal mehr Entsetzen spürte. Alles, was sie noch empfand, war eine tiefe, überwältigende,
schreckliche
Traurigkeit.
Der Oberste Herrscher streckte seine zarten Hände aus, berührte das Mädchen an den Wangen und hielt ihr Gesicht hoch, damit er ihr in die Augen sehen konnte. »Wer ist dein Vater, Mädchen?«, fragte er leise.
»Ich ...« Verzweiflung tobte in ihr. Kummer, Schmerz, das Verlangen zu sterben.
Der Oberste Herrscher hielt ihr Gesicht dicht vor das seine und sah sie weiterhin an. In diesem Moment erkannte sie die Wahrheit. Sie sah einen Teil von ihm; sie spürte seine Macht. Seine gottgleiche Macht.
Er machte sich keine Sorgen über die Skaa-Rebellion. Warum sollte er?
Wenn er es wünschte, konnte er persönlich jeden Einwohner der Stadt töten. Vin wusste, dass das so war. Es würde ihn vielleicht einige Zeit kosten, aber er konnte auf ewig weitertöten, ohne je müde zu werden. Er brauchte keinen Aufstand zu fürchten.
Er hatte diese Befürchtung niemals haben müssen. Kelsier hatte einen schlimmen, schlimmen Fehler gemacht.
»Dein Vater, Kind«, beharrte der Oberste Herrscher. Seine Forderung lag wie ein fühlbares Gewicht auf ihrer Seele.
Vin blieb nichts anderes übrig, als zu antworten. »Mein ... Bruder hat mir gesagt, dass mein Vater der Mann da drüben ist. Der Hochprälan.« Tränen rannen an ihren Wangen herunter, aber als sich der Oberste Herrscher von ihr abwandte, wusste sie bereits nicht mehr, warum sie geweint hatte.
»Das ist eine Lüge, Herr!«, sagte Tevidian und wich zurück. »Was weiß sie denn schon? Sie ist doch nur ein dummes Kind.«
»Sag mir die Wahrheit, Tevidian«, forderte der Oberste Herrscher, während er langsam auf den Obligator zuging. »Hast du jemals mit einer Skaa-Frau geschlafen?«
Der Obligator zögerte. »Ich habe mich an das Gesetz gehalten! Jedes Mal habe ich sie hinterher töten lassen.«
»Du ... lügst«, sagte der Oberste Herrscher. Es klang, als wäre er überrascht. »Du bist unsicher.«
Es war deutlich zu sehen, dass Tevidian zitterte. »Ich ... ich glaube, ich habe sie alle umbringen lassen, Herr. Da war nur eine, mit der ich vielleicht etwas zu nachsichtig war. Zuerst wusste ich nicht, dass sie eine Skaa war. Der Soldat, der sie auf meinen Befehl umbringen sollte, war zu mitleidig und hat sie gehen lassen. Aber schließlich habe ich sie doch gefunden.«
»Hat diese Frau ein Kind zur Welt gebracht?«, wollte der Oberste Herrscher wissen.
Es wurde still im Raum.
»Ja, Herr«, sagte der Hochprälan.
Der Oberste Herrscher schloss die Augen und seufzte. Er kehrte auf seinen Thron zurück. »Er gehört euch«, sagte er zu den Inquisitoren.
Sofort schossen sechs Inquisitoren mit Freudenschreien durch das Zimmer und zogen Obsidianmesser aus den Futteralen unter ihren Roben. Tevidian hob die Arme und schrie auf, als die Inquisitoren über ihn herfielen und in Grausamkeiten schwelgten. Blut floss, als sie ihre Dolche wieder und wieder in den Sterbenden stießen. Die übrigen Obligatoren wichen zur Seite und wandten entsetzt den Blick ab.
Kar blieb zurück und beobachtete lächelnd das Massaker, genau wie der Inquisitor, dessen Gefangene Vin war. Auch ein weiterer Inquisitor beteiligte sich nicht an der Metzelei, was Vin wunderte.
»Du hast deine Aussage bewiesen, Kar«, sagte der Oberste Herrscher, der nun wieder müde auf seinem Thron saß. »Anscheinend habe ich zu sehr auf die ... Gehorsamkeit der Menschen vertraut. Ich habe keinen Fehler gemacht. Ich habe noch nie einen Fehler gemacht. Aber es ist Zeit für eine Veränderung. Versammelt die Hochprälane und bringt sie hierher. Holt sie aus ihren Betten, wenn es nötig ist. Sie werden Zeugen sein, wenn ich die Leitung des Ministeriums dem Amt für Inquisition übertrage.«
Kars Lächeln wurde breiter.
»Und das Halbblut-Kind wird vernichtet.«
»Selbstverständlich, Herr«, sagte Kar. »Allerdings möchte ich ihm zuerst noch ein paar Fragen stellen. Sie gehörte zu einer Bande von Skaa-Nebelingen. Vielleicht kann sie uns helfen, die anderen aufzuspüren ...«
»Also gut«, meinte der Oberste Herrscher. »Das ist schließlich eure Pflicht.«
Gibt es etwas Schöneres als die Sonne? Ich schaue oft zu, wie sie aufgeht, denn mein ruheloser Schlummer endet immer vor der Morgendämmerung.
Jedes Mal, wenn ich ihr sanftes gelbes Licht über den Horizont lugen sehe, werde ich etwas entschlossener und etwas hoffnungsfroher. In gewisser
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