Kinder Des Nebels
der Stadt herausbekommen, falls alle anderen Optionen scheitern.« Nachdem er
Oberster Herrscher
der Liste hinzugefügt hatte, wandte er sich wieder der Gruppe zu. »Habe ich etwas vergessen?«
»Wenn du schon alle Schwierigkeiten aufschreibst, die wir überwinden müssen«, meinte Yeden trocken, »dann solltest du auch notieren, dass wir vollkommen verrückt sind - obwohl ich bezweifle, dass wir in der Lage sein werden, dieses Problem zu beheben.«
Die Gruppe kicherte, und Kelsier schrieb
Yedens schlechte Einstellung
an die Tafel. »Wenn man es so nennt, klingt es nicht mehr so schlimm, oder?«
Vin runzelte die Stirn und versuchte herauszufinden, ob Kelsier gerade einen Scherz machte oder nicht. Die Liste war nicht nur einschüchternd, sie war erschütternd. Zwanzigtausend Reichssoldaten? Die vereinigten Streitkräfte des Hochadels? Das Ministerium? Ein einziger Stahlinquisitor war angeblich mächtiger als tausend Truppen.
Doch noch beängstigender war, wie gelassen die Männer diese Punkte behandelten. Wie konnte man nur daran denken, sich dem Obersten Herrscher zu widersetzen? Er war ... nun ja, er war halt der
Herrscher.
Er herrschte über die gesamte Welt. Er war der Schöpfer, der Beschützer und der Bestrafer der Menschheit. Er hatte sie alle vor dem Dunkelgrund bewahrt und dann Asche und Nebel als Strafe für den mangelnden Glauben des Volkes gebracht. Vin war nicht besonders religiös - kluge Diebe wussten, wie man dem Stahlministerium aus dem Weg gehen konnte -, aber sogar sie kannte die Legenden.
Dennoch betrachtete die Gruppe ihre Liste der »Schwierigkeiten« mit äußerster Entschlossenheit. Den Männern haftete eine grimmige Heiterkeit an; es war, als ob sie genau wussten, dass sie eher die Sonne vom Aufgehen abhalten als das Letzte Reich stürzen konnten. Trotzdem wollten sie es versuchen.
»Beim Obersten Herrscher«, flüsterte Vin, »ihr meint es
ernst.
Ihr wollt das wirklich tun.«
»Gebrauche seinen Namen nicht einmal als Fluch, Vin«, ermahnte Kelsier sie. »Sogar Blasphemie ehrt ihn. Wenn du im Namen dieser Kreatur fluchst, erkennst du sie als deinen Gott an.«
Vin verstummte und lehnte sich wie betäubt in ihrem Sessel zurück.
»Wie dem auch sei«, meinte Kelsier mit einem schwachen Lächeln, »hat jemand eine Idee, wie wir diese Schwierigkeiten überwinden können? Außer Yedens Haltung natürlich - wir wissen alle, dass bei ihr jede Hoffnung umsonst ist.«
Im Raum herrschte stilles Nachdenken.
»Irgendwelche Einfälle?«, fragte Kelsier. »Gesichtspunkte? Eindrücke?«
Weher schüttelte den Kopf. »Jetzt, wo alles da oben steht, frage ich mich, ob das Kind nicht vielleicht Recht hat. Das ist wirklich eine einschüchternde Sache.«
»Aber wir
können
Erfolg haben«, betonte Kelsier. »Wir sollten mit der Einnahme der Stadt anfangen. Was ist so bedrohlich, dass es den Adel ins Chaos stürzt und vielleicht die Palastwache hinaus in die Stadt treibt, wo sie unseren Truppen ausgesetzt sind? Was könnte das Ministerium und den Obersten Herrscher höchstpersönlich ablenken, während wir unsere Truppen in Angriffsstellung bringen?«
»Da kommt mir eine allgemeine Revolution unter der Bevölkerung in den Sinn«, sagte Hamm.
»Das wird nicht funktionieren«, wandte Yeden überzeugt ein.
»Warum nicht?«, fragte Hamm. »Dir ist doch bekannt, wie die Menschen behandelt werden. Sie leben in Armenquartieren, arbeiten den ganzen Tag in Mühlen und Schmieden, und dennoch verhungert die Hälfte von ihnen.«
Yeden schüttelte den Kopf. »Begreifst du es denn nicht? Die Rebellion versucht schon seit
tausend Jahren,
die Skaa in dieser Stadt zum Aufruhr zu bringen. Es ist noch nie gelungen. Sie sind zu stark geknechtet; zum Widerstand haben sie weder den Willen noch die Hoffnung. Deswegen bin ich mit meiner Bitte um eine Armee zu euch gekommen.«
Es wurde wieder still im Zimmer. Doch Vin nickte ganz langsam. Sie hatte es gesehen - sie hatte es
gefühlt.
Man kämpfte nicht gegen den Obersten Herrscher. Obwohl sie als Diebin am Rande der Gesellschaft lebte, wusste sie das. Es würde keine Rebellion geben.
»Ich fürchte, er hat Recht«, sagte Kelsier. »Die Skaa werden sich nicht erheben, zumindest nicht in ihrem gegenwärtigen Zustand. Wenn wir diese Regierung stürzen wollen, dann müssen wir das ohne die Hilfe der Massen tun. Möglicherweise können wir unsere Soldaten unter ihnen rekrutieren, aber wir dürfen nicht auf die gesamte Bevölkerung zählen.«
»Könnten wir denn nicht
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