Kinder des Sturms
»Ich nehme an, man könnte sagen, dass mir damals ebenfalls viel durch den Kopf ging und dass ich einen Teil davon durch das Reisen losgeworden bin.«
»Aber du bist zurückgekommen.« Sie trat einen Schritt zurück und sah ihm ins Gesicht. »Trotz all der schönen Orte, die du besucht und gesehen hast, bist du am Ende hierher zurückgekommen.«
»Hier bin ich zu Hause. Die Wahrheit ist ...« Er strich ihr mit dem Daumen eine einzelne Träne aus dem Gesicht. »Als ich loszog, dachte ich nicht, dass ich noch einmal wiederkommen würde. Ich dachte, ich, Aidan Gallagher, ziehe in die weite Welt, um meinen Platz darin zu finden. Und die ganze Zeit war mein Platz hier in dem Ort, an dem ich meine Reise angefangen hatte. Aber um das zu erkennen, musste ich erst gehen.«
»Aber Ma und Dad kommen nicht zurück.« Wieder wurden ihre Augen feucht, obgleich sie hätte schwören können, dass sie vor lauter Weinen gar keine Tränen mehr besaß. »Manchmal fehlen sie mir so sehr, dass ich es kaum noch aushalte. Nicht gerade jeden Tag, aber hin und wieder trifft mich der Gedanke, dass sie Tausende von Meilen entfernt in Boston sind, wie ein regelrechter Schlag.«
Ungeduldig fuhr sie sich mit den Händen über das Gesicht. »Ich weiß, dass sie zu den Hochzeiten hierher zurückgekommen sind und dass sie kommen werden, wenn das Baby auf der Welt ist, aber das ist nicht dasselbe.«
»Nein, das ist es nicht. Mir fehlen sie auch.«
Sie nickte. Diese Worte aus seinem Mund zu hören war ihr
eine echte Hilfe. »Ich weiß, dass sie dort glücklich sind, und das ist ein Trost. Jedes Mal, wenn sie anrufen oder schreiben, platzen sie regelrecht vor Stolz und vor Begeisterung über den Pub, den sie drüben in Boston aufgemacht haben.«
»Inzwischen sind wir eben ein international operierendes Unternehmen«, sagte Aidan und brachte sie zum Lachen.
»Als Nächstes machen wir sicher einen Pub in der Türkei oder sonst irgendwo auf.« Sie seufzte leise. »Sie sind dort drüben glücklich, und ich weiß, dass ich eines Tages rüberfliegen und sie besuchen werde. Aber manchmal denke ich, wenn sie einfach fortgegangen sind, komme ich vielleicht ebenfalls, wenn ich erst mal weg bin, nicht hierher zurück. Aber so sehr ich mir auch wünsche, fremde Orte zu sehen und aufregende Dinge zu unternehmen, Aidan, will ich das, was ich hier besitze, auf keinen Fall verlieren.«
»Es geht nicht darum, etwas zu verlieren, sondern darum, sich selbst zu verändern. Du wirst erst wissen, wie es ist, wenn du tatsächlich gehst. Du hattest bereits als kleines Mädchen das Bedürfnis, vor hier fortzugehen. Mir ging es genauso. Shawn ist der Einzige von uns, der nie daran gezweifelt hat, dass er hierher gehört.«
»Manchmal wünschte ich, ich wäre so wie er.« Sie hob abrupt den Kopf. »Aber falls du ihm das je erzählst, werde ich behaupten, dass du lügst.«
Lachend zog er sie an ihrem Haar. »So gefällst du mir schon besser.«
»Das ist noch nicht alles.« Sie schob eine Hand in ihre Tasche und betastete den dort verborgenen Saphir. »Ich muss mich entscheiden, ob ich den von Trevor angebotenen Vertrag unterschreiben und tatsächlich versuchen soll, mein Glück als Sängerin zu machen.«
»Du bist eine Sängerin.«
»Das, was er mit mir vorhat, ist etwas völlig anderes. Das weißt du ganz genau.«
»Das ist natürlich wahr. Willst du meine Meinung hören?«
»Vielleicht würde sie mir bei der Entscheidung helfen.«
»Du wärst bestimmt brillant. Das sage ich nicht, weil ich dein Bruder bin. Ich bin viel herumgekommen und hatte dabei die Gelegenheit, mir jede Menge Stimmen anzuhören. Deine Stimme hebt sich deutlich von den meisten anderen ab, Darcy, das hat sie immer schon getan.«
»Ich würde es schaffen«, erklärte sie mit leiser Stimme. »Ich glaube, ich würde es tatsächlich schaffen. Und was noch besser ist, ich glaube, ich hätte daran sogar Spaß.« Ihre Augen blitzten. »Schließlich ist die Aufmerksamkeit anderer Menschen für mich ebenso wichtig wie Essen und Trinken.«
»Dann wäre die Arbeit als Sängerin für dich also das reinste Festmahl.«
»Das glaube ich auch. Trevor hat mich heute Morgen mit in sein Cottage genommen, um mit Nigel zu reden, dem Leiter seines Londoner Büros. Das Bild, das er gezeichnet hat, war nicht nur positiv, wofür ich ihm wirklich mehr als dankbar war. Er meint, es wäre tatsächlich ein knochenharter Job.«
»Du kannst hart arbeiten. Und was genauso wichtig ist, wenn du genug hast, weißt du,
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