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Kinder des Sturms

Kinder des Sturms

Titel: Kinder des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
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Voranschreiten der Arbeit wuchs auch die Zahl der Zuschauer. Der alte Mr. Riley erschien täglich, pünktlich morgens um zehn, brachte einen Klappstuhl mit und nahm, seine Kappe zum Schutz gegen die Sonne tief in die Stirn gezogen, eine Thermoskanne Tee als einzige Gesellschaft, mit einem leisen Seufzer Platz. Dann saß er da und verfolgte das Geschehen oder döste friedlich vor sich hin, bis er sich um Punkt ein Uhr wieder erhob, seinen Stuhl zusammenklappte und sich zum Mittagessen ins Haus seiner Urenkelin begab.
    Häufig kam einer seiner alten Freunde, gesellte sich zu ihm, und sie führten über einer Partie Schach oder Rommé ein Gespräch über den Bau.
    Allmählich betrachtete Trevor den alten Mr. Riley als Maskottchen des Theaters.

    Hin und wieder kamen irgendwelche Kinder, hockten sich im Halbkreis um Riley herum, verfolgten mit großen Augen, wie irgendwelche riesengroßen Stahlträger an ihren Platz gehoben wurden, und spendeten nach erfolgreicher Beendigung der Arbeit großzügig Applaus.
    »Das sind ein paar von Mr. Rileys Ururenkeln und ihre Freunde«, erklärte Brenna Trevor, als er seine Sorge über die allzu große Nähe der Kinder zur Baustelle aussprach. »Sie gehen ganz sicher nicht weiter als bis zu seinem Stuhl.«
    »Seine Ur- ur enkel? Dann ist er anscheinend wirklich so alt, wie er aussieht.«
    »Letzten Winter wurde er hundertzwei. Die Rileys sind eine langlebige Sippe, obwohl sein armer Vater – Gott hab ihn selig – bereits im zarten Alter von sechsundneunzig starb.«
    »Erstaunlich. Und wie viele Ururenkel hat er?«
    »Tja, lassen Sie mich überlegen. Fünfzehn. Nein, sechzehn. Wenn ich mich recht entsinne, kam im letzten Winter noch ein Kind dazu. Allerdings leben sie nicht alle hier in unserer Gegend.«
    »Sechzehn? Großer Gott!«
    »Nun, er hatte acht Kinder, von denen sechs noch leben. Und sie haben es insgesamt, glaube ich, auf beinahe dreißig Kinder gebracht, die wiederum jede Menge Kinder haben. Also ist es ja wohl kein Wunder, wenn er so viele Nachkommen um sich scharen kann. Zwei seiner Urenkel und der Mann einer seiner Enkelinnen arbeiten sogar hier auf Ihrer Baustelle.«
    »Wie hätte ich das wohl vermeiden sollen?«
    »Jeden Sonntag nach der Messe besucht er das Grab seiner Frau, der guten Lizzie Riley. Sie waren fünfzig Jahre verheiratet. Dann nimmt er seinen alten Klappstuhl mit, setzt sich zwei Stunden zu ihr und erzählt ihr den Dorfklatsch und sämtliche Neuigkeiten, die es in der Familie gab.«
    »Wie lange ist sie schon tot?«
    »Oh, seit etwa zwanzig Jahren.«

    Dann war der alte Riley ein und derselben Frau seit siebzig Jahren treu. Ein erschreckender und, wie Trevor dachte, zugleich anrührender Gedanke. Manche Menschen kamen mit einer solch dauerhaften Bindung anscheinend tatsächlich zurecht.
    »Der gute Mr. Riley ist wirklich ein Schatz«, fügte Brenna gut gelaunt hinzu. »He, Declan Fitzgerald, pass mit dem Brett auf, bevor du es jemandem ins Gesicht schlägst.«
    Kopfschüttelnd marschierte Brenna über die Baustelle, schnappte sich das zweite Ende des Brettes und trug es zusammen mit dem Arbeiter dorthin, wo er es brauchte.
    Beinahe wäre Trevor ihr gefolgt. Er hatte die Absicht gehabt, den Großteil seines Nachmittags mit dem Schleppen von Brettern, dem Wuchten von Balken und dem Schwingen eines Hammers zu verbringen. Das Dröhnen der Presslufthämmer und der Kompressoren und das beständige Rumpeln des Zementmischers zogen die jungen Zuschauer in den Bann. Neben ihnen hockte Mr. Riley, nippte gut gelaunt an seinem Tee, und spontan gesellte sich Trevor, statt mit der Arbeit zu beginnen, zu dem alten Mann.
    »Was denken Sie?«
    Riley verfolgte, wie Brenna das Brett an die richtige Stelle hievte. »Ich denke, du baust solide und hast genau die richtigen Leute eingestellt. Mick O’Toole und seine hübsche Brenna, die wissen, was sie tun.« Riley richtete den Blick aus seinen trüben Augen auf den Amerikaner. »Und das denke ich auch von dir, junger Magee.«
    »Wenn das gute Wetter hält, steht der Rohbau noch vor Ablauf der gesetzten Frist.«
    Riley verzog sein runzliges Gesicht zu einem Lächeln. Es wirkte, als spannte man ein dünnes Blatt weißes Papier über einen Stein. »Du wirst dein Ziel erreichen, wenn du es erreichst, Junge. So ist nun mal der Lauf der Dinge. Du siehst aus wie dein Großonkel.«

    Das hatte auch seine Großmutter einmal widerstrebend eingeräumt, dachte Trevor und ging vor Riley in die Hocke, damit dieser sich nicht den Hals

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