Kinder des Sturms
saphirblaue Meer und die glitzernden grünen Felder ihrer Heimat, vorbei an einem Obstgarten mit Bäumen voller goldener
Äpfel und silberner Birnen in Richtung eines ebenfalls silbernen Palastes geflogen, durch dessen offene Fenster eine leise, anrührend süße Melodie an ihr Ohr gedrungen war.
In dem Traum, für eine kurze, unwirkliche Zeit, war sie verliebt gewesen. Und zwar in einer Weise, die sie für unmöglich gehalten und eigentlich auch nie gewünscht hatte. So vollkommen, so blind, so glückselig verliebt, dass nichts wichtig gewesen war außer den Momenten mit ihm.
Während ihres Fluges durch Sonnenlicht und Mondschein und hellen Feenglanz hatte er nur vier Worte zu ihr gesagt.
Alles. Und noch mehr.
Und alles, was sie hatte sagen und auch fühlen können, als sie sich zu ihm herumgedreht und ihre Wange an sein Gesicht gelegt hatte, war gewesen: Du. Du bist alles und noch mehr.
Sie hatte es tatsächlich so gemeint, hatte diesen Satz mit all der Inbrunst, die sie je besessen hatte und jemals besitzen würde, formuliert. Und als sie wach geworden war, hatte sie den Wunsch verspürt, dieses mächtige Gefühl noch einmal zu empfinden. Doch sie hatte es im Traum verloren, und so hatte sie sich mit einem leisen Lächeln über ihre wilden Fantasien ans Aufstehen gemacht.
Schließlich standen sowohl Trevor als auch sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Realität.
Punkt sechs Uhr trug sie ihre Tasche mit vor Aufregung pochendem Herzen die Treppe hinunter. Was würde sie in den nächsten achtundvierzig Stunden sehen, tun, erleben?
Alles. Dieser Gedanke rief Jubel in ihr wach. Alles. Und noch mehr.
Sie sah sich ein letztes Mal im Pub um. Alles war aufgeräumt und blank geputzt. Sinead, Alice Mae und Betsy wären durchaus in der Lage, die Arbeit zu bewältigen, die sie oft genug allein verrichtete. Sie hatte ihnen den Arbeitsablauf eingetrichtert und zusätzlich zur Erinnerung eine handgeschriebene Checkliste hinter den Tresen gelegt. Zufrieden verließ sie
das Haus und fasste den Entschluss, während sie unterwegs war, nicht ein Mal an das Gallagher’s zu denken.
Es war genau sechs Uhr.
Es freute sie, zu sehen, dass Trevor gerade, als sie durch die Tür kam, in die Einfahrt einbog. Dann waren sie also bereits in Bezug auf den möglichst reibungslosen Ablauf ihrer Reise einer Meinung, dachte sie zufrieden. Auf diese Weise liefe sicher alles völlig glatt.
Es überraschte sie, dass er einen Anzug trug. Bestimmt italienisch, dachte sie, als er aus dem Wagen stieg, um ihr Gepäck zu nehmen. Sündhaft teuer, da war sie sich ganz sicher, aber zugleich von dezenter Eleganz. Das Steingrau passte hervorragend zu seinen Augen, und mit dem ebenfalls dezenten grauen Hemd und der gedeckten Krawatte sah er durch und durch wie der smarte europäische Unternehmer aus.
Er verströmte die Aura der Macht, dachte sie erneut. Und es stand ihm gut.
»Hallo.« Als er ihre Tasche in den Kofferraum legte, befingerte sie den Ärmel seiner Jacke. »Du siehst heute Morgen aber wirklich gut aus.«
»Fast unmittelbar nach unserer Landung habe ich bereits die erste Besprechung.« Er klappte den Kofferraum zu, trat an die Beifahrerseite und öffnete die Tür. »Es wird von der Zeit her tatsächlich etwas knapp.« Als sie an ihm vorbeiglitt, stieg ihm ihr Duft in die Nase, und er wünschte die Besprechung und alle Teilnehmer zum Teufel.
Sie wartete, bis er auf seinem Platz saß. »Ich hätte gedacht, dass ein Mann in deiner Position seinen Terminplan selbst bestimmt.«
»Wenn du das machst und während eines Gesprächs auch nur einen zusätzlichen Punkt ansprichst, gerät normalerweise gleich alles aus den Fugen. Um dabei nicht den Kopf zu verlieren, hilft nur ein starkes Ego.«
»Das scheinst du zu haben.«
Er lenkte den Wagen auf die Straße. »Der Trick ist, dafür zu sorgen, dass das auch die anderen erkennen. Ich habe einen Wagen mit Fahrer bestellt, der dich von Heathrow zum Haus bringt, damit du dich dort schon mal einrichten kannst. Er wird dir den ganzen Tag über zur Verfügung stehen, falls du etwas besichtigen oder einkaufen gehen willst.«
»Ach ja?« Man stelle sich mal vor. »Nun, das war sehr aufmerksam von dir.«
»Morgen habe ich mehr Zeit, aber heute ist leider nicht viel drin.« Er sah sie von der Seite an. »Allerdings müsste ich heute Abend gegen sechs mit allem fertig sein. Für acht habe ich uns einen Tisch im Restaurant bestellt. Ist dir diese Planung recht?«
»Durchaus.«
»Gut. Meine
Weitere Kostenlose Bücher