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Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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kurz nach dem Tod ihres Bruders auch nicht in der Stimmung dafür.
    Gleich zu Beginn hatte Niels sich entschieden, nach Norden zu segeln. In der Nachbarschaft von Island mußten sie in eine Strömung geraten, die sie zusammen mit einem hoffentlich auftretenden günstigen Wind auf ihr Ziel zutreiben würde. Tatsächlich verlief die Fahrt nach kurzer Zeit sehr gut. Die frohe Stimmung überwand die Müdigkeit.
    Dann schlug der Sturm zu.
     
    Dunkelheit wütete. Ingeborg wußte, oben mußte es Tag sein – wenn an keinem anderen Ort, dann im Himmel, wo der Herr Gericht hielt über die Sünder –, denn sie war nicht völlig blind. Trotzdem reichte die Sicht kaum über die Länge des Schiffs hinaus.
    Sie hatte keine Pflichten mehr auf Deck. Das Feuer im Lehmherd war sofort gelöscht worden, und zu essen gab es vorerst nichts anderes als Salzfleisch, trockenen Käse, Stockfisch, schimmeliges Flachbrot und wurmigen Schiffszwieback. Endlich wurden die Dunkelheit und der Gestank des Frachtraums jedoch unerträglich für sie, und sie tastete sich nach oben. Wind und Hagel trieben sie in den unzulänglichen Schutz des Achterdecks. Dort stand sie allein, denn das Ruder war festgebunden, und Niels schlief erschöpft unten.
    Im Anfang, als das Wetter bedrohlich wurde, hatte er einen Schleppanker bauen und auswerfen und das Segel streichen lassen. Vor dem Wind zum laufen, konnte nur zu leicht bedeuten, daß sie auf ein Riff oder eine Insel stießen, von denen es rings um das nördliche Schottland viele gab ... oder es kam eine Woge von achtern und brach das Schiff entzwei. Seine Erfindung sorgte dafür, daß der Bug oben blieb, und bot größtmögliche Sicherheit. Ansonsten konnte er nur beten, daß der Sturm endete, bevor das Schiff sank. Inzwischen durften er und seine Mannschaft nicht müßig sein. Sie mußten viele Stunden am Tag pumpen, wo immer sich ein Leck öffnete, sie mußten sich beeilen, Dinge zu reparieren oder von neuem festzumachen, während die Wellen auf das Schiff einschlugen, sie mußten, so gut es ging, nach dem gefürchteten Anblick von Sturzseen Ausschau halten.
    Die Zeit verging, unmeßbar wie ein Alptraum.
    Das Schiff sprang so wild hoch, um gleich darauf niederzutauchen, daß Ingeborg sich am Ruder festhalten mußte. Der Sturm pfiff bis unter das Achterdeck, klebte ihr die nassen Kleider an die Haut, zerrte an ihr wie ein Fluß bei einer Überschwemmung. Sie ertrank im Lärm, in dem Erdbebengrollen der Wellen und ihrem Aufbrüllen, wenn sie sich brachen, in der Kälte, die noch durch ihre Erstarrung biß.
    Sie mühte sich, nach vorn zu blicken und sah den Mast vor der Finsternis tanzen, mitten in Hagel und Wolken. Seine Spitze peitschte. Die Rah war unten, auf dem Deck gesichert, aber wie lange konnten Holz und Tau dieser Belastung standhalten? Sich überschlagende Schaumwellen türmten sich auf, rasten heran wie Berge, schwarz und eisengrau unter ihren zerrissenen Gipfeln. Gischt sprühte, wenn sie über den Bug donnerten, der Rumpf erbebte. Sie stürmten vorwärts und schwappten über die Reling. Oft und oft reagierte die
Herning
nicht schnell genug auf das Spannseil, und wütende Katarakte ergossen sich über ihr Hauptdeck. Lukenrahmen sprangen, der Frachtraum war naß wie ein Sumpf geworden.
    Durch treibenden Schaum und Eis erkannte Ingeborg Tauno und Eyjan als Schatten am Vordeck. Sie schienen miteinander zu reden. (Wie?) Plötzlich erstickte Ingeborg einen Aufschrei. Tauno war über Bord gesprungen.
    Aber er ist der Sohn eines Wassermanns, versicherte sie sich selbst. Er kann in diesem Aufruhr leben. Ja, er hat von den Tiefen gesprochen, von ewigem Frieden ... Maria, schütze ihn ...
    Eyjan kam nach achtern, und nun konnte Ingeborg sie deutlicher erkennen. Nackt bis auf Stirnband und Dolchgürtel, schien sie die Kälte nicht zu spüren. Im Gegenteil, ihre roten Locken, schwer vom Wasser, waren innerhalb des verborgenen Horizonts das einzige, was warm aussah. Das Stampfen des Schiffs behinderte ihren Panthergang nicht.
    Sie trat unter das Achterdeck. »Ah, Ingeborg«, grüßte sie, und nun war sie nahe genug, daß sie zu verstehen war. »Ich habe gesehen, wie du herausklettertest – sicher für einen Atemzug frischer Luft, sei sie auch noch so bitter, nicht wahr?« Sie hatte die Frau erreicht und blieb stehen. Als sie die Hände um den Mund legte, wurden ihre Worte deutlicher. »Laß mich dir Gesellschaft leisten. Es ist meine Wache, aber ich kann Gefahren ebensogut von hier aus spüren – vielleicht

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