Kinder des Wassermanns
von ihm trug.) Drei Söhne und eine Tochter waren noch am Leben – so glaubte er; der älteste Junge hatte auf einem Schiff angeheuert, das nach Oslo fahren wollte, und er hatte seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Der zweite war verheiratet und auf einem kleinen Bauernhof. Der dritte, Jonas mit Namen, war noch hier, ein drahtiger, spitznasiger Jüngling mit glattem, hellem Haar, der Tauno mit der Wachsamkeit eines Fuchses und Eyjan mit schlecht verhehlter Lüsternheit beobachtete. Die übrigen waren arme Verwandte und Mietlinge, die für Unterkunft und Essen arbeiteten.
»Was meine Tochter betrifft ...«
Unruhe kam auf; unter den dicken, unruhigen Schatten wurde gemurmelt. Augen schimmerten weiß, Angst konnte durch den Rauch gerochen und gefühlt werden. Haakons Stimme, die fest geklungen hatte, bellte auf: »Was könnt ihr von ihr berichten?«
»Was kannst du vom Seevolk berichten?« fragte Tauno zurück. Der Norweger versuchte, listig zu sein. »Etwas ... vielleicht.«
Im trüben Licht wurde gejapst und gehustet. »Das bezweifle ich«,
flüsterte Eyjan ihrem Bruder ins Ohr. »Ich glaube, er lügt.«
»Ich fürchte, du hast recht«, antwortete er ebenso leise. »Aber gehen
wir auf sein Spiel ein. Hier liegt ein Geheimnis.«
Laut sagte er: »Wir trafen sie auf See, nicht weit von hier, zwischen Inuit ... Skraelingen, nennt ihr sie nicht so? Sie und ihr kleines Kind sahen gut aus.« Sie sahen besser aus als alle hier Versammelten, dachte er. Wahrscheinlich hatte Haakon dafür gesorgt, daß sie ausreichend zu essen bekam, als sie heranwuchs, weil er wollte, daß sie ihm starke Enkel schenkte, oder weil er sie liebte. »Doch ich warne dich, es wird dir nicht gefallen, was sie uns aufgetragen hat. Halte dir vor Augen, daß wir nichts dafür konnten. Wir waren nur sehr kurze Zeit mit ihr zusammen, und wir verstehen nicht einmal, was sie mit ihren Worten gemeint hat.«
Die Knöchel des Vaters standen weiß um das Heft seines Schwerts. Jonas, sein Sohn, der neben ihm auf einer Bank saß, umfaßte gleicherweise seinen Dolch.
»Nun?« schnauzte Haakon.
»Es tut mir leid. Sie verfluchte dich. Sie sagte, alle sollten dies Land verlassen, wenn sie nicht durch einen ... einen Tupilak, was das auch sein mag, sterben wollten, den einer ihrer Zauberer gemacht hat, um irgendeine Sünde von dir zu bestrafen.«
Jonas sprang auf die Füße. »Haben sie ihr die Seele aus dem Leib genommen, den sie gestohlen haben?« schrie er durch den sich erhebenden Lärm.
Stöhnte Haakon? Durch nichts anderes ließ er sich anmerken, daß er eine Wunde empfangen hatte. »Seid ruhig!« verlangte er. Der Aufruhr nahm zu. Er erhob sich, zog sein Schwert, schwang es und sagte mit flacher Stimme: »Setzt euch hin. Haltet den Mund. Wer es nicht tut, wird bald einer weniger sein, den ich durch den Winter füttern muß.«
Stille trat ein, nur daß der Wind um die Wände pfiff und an der Tür schnüffelte. Haakon steckte die Klinge in die Scheide und schleppte seinen kümmerlichen Körper wieder auf den Hochsitz. »Ich mache euch beiden ein Angebot«, erklärte er, jedes Wort betonend. »Ein ehrlicher Handel. Ihr habt uns erzählt, daß ihr zur Hälfte menschlich seid, aber wie richtige Meerleute unter Wasser atmen und beinahe ebenso gut schwimmen könnt. Seid unsere Waffen! Ich nehme an, ihr könnt unter Wasser auch kämpfen.«
Tauno nickte.
»Und Zauberei braucht ihr nicht zu fürchten, da ihr selbst der Außenwelt angehört«, fuhr Haakon fort.
Eyjans Körper wurde steif. Jonas setzte hastig hinzu: »Oh, er meint nicht,
ihr
seid böse.«
»Nein«, stimmte Haakon zu. »Es ist wahr, ich möchte ein Geschäft mit euch abschließen.« Er beugte sich vor. »Hört. Es gibt tatsächlich ... eine Schar, die Seevolk sein muß ... um eine Insel im Westen. Ich habe sie erst vor kurzem gesehen, ehe unser Unglück begann. Ich war draußen beim Fischen. Sturli und Mikkel waren bei mir« – er wandte sich an seine erstaunten Hausgenossen – , »aber ihr erinnert euch, daß der Tupilak sie später erwischte. Wir waren ... beunruhigt über das, was wir sahen, waren nicht sicher, was Christen tun sollten, und wir meinten, am besten sei es, Frieden zu halten, bis wir einen Priester fragen konnten. Ich meine einen gebildeten Priester, nicht Sira Sigurd aus dieser Pfarrei, der keine Zeile lesen kann und die Messe durcheinanderbringt. Ich weiß, daß er es tut; ich bin in der Kirche von Ostri Bygd gewesen und habe gut achtgegeben, was getan und gesungen
Weitere Kostenlose Bücher