Kinder des Wassermanns
Die dünnen Stoppeln unter ihren nackten Füßen verrieten den Reisenden, wie dürftig die letzte Ernte gewesen war. Ein Weidezaun aus gebleichten Walrippen umschloß ein Feld, auf dem sich früher eine ansehnliche Zahl von Tieren befunden haben mußte. Nun waren dort nur noch ein paar abgemagerte Schafe und wenige ebenso kläglich aussehende Kühe zu finden. Ein kleiner Meeresarm endete hier, und drei Boote waren an Land gezogen. Sie waren für je sechs Mann, gut gebaut, gut für dieses Land der zahllosen, gewundenen Fjorde geeignet. Aber Tauno sah, wie alt das Holz unter dem stechend riechenden Teer war, der sie schwärzte.
Schon ragten die Gebäude vor ihnen auf, ein Haus, eine Scheune und zwei Schuppen, die einen schmutzigen Hof umgaben. Sie waren ohne Mörtel aus Steinen errichtet, von Moos bewachsen, mit Grassoden gedeckt, kaum für den ärmsten Fischer in Dänemark geeignet. Aus einem Loch im Dach stieg der Rauch eines Torffeuers empor. Sein Schein stahl sich durch Risse in den alten, verworfenen Fensterläden. Vier Hunde sprangen laut bellend vor der Tür auf. Es waren große Tiere mit Wolfsblut, und in ihrer Magerkeit sahen sie doppelt so furchteinflößend aus. Aber als sie den Geruch der Fremden aufgenommen hatten, zogen sie die Schwänze ein und schlichen beiseite.
Die Tür öffnete sich. Die Umrisse eines großen Mannes erschienen schwarz zwischen den Pfosten. Er hielt einen Speer in der Hand Einige andere versammelten sich hinter ihm. »Wer kommt?« rief er mißtrauisch.
»Wir sind zwei«, antwortete Tauno aus der Dunkelheit. »Fürchtet euch nicht, wenn wir unheimlich aussehen. Unsere Absichten sind gut.«
Gemurmel war zu hören, als er und Eyjan in den Feuerschein traten, Flüche, vielleicht ein schnelles Gebet. Der große Mann bekreuzigte sich. »In Jesu Namen, sagt, was ihr seid«, verlangte er, erschrocken, aber unverzagt.
»Wir sind keine Sterblichen«, erklärte Eyjan. Dies Eingeständnis rief stets weniger Entsetzen hervor, wenn es von ihren weich geschwungenen Lippen kam. »Doch wir können den Namen Jesu Christi ebenso aussprechen wie ihr, und wir wollen nichts Böses. Vielleicht können wir euch als Dank für einen kleinen Gefallen, den ihr uns, wie wir hoffen, tun werdet, sogar helfen.«
Der Mann holte laut Atem, ließ seine Waffe sinken und trat vor. Er war so mager wie seine Hunde und nie kräftig gewesen, aber seine Hände waren groß und stark. Auch sein Gesicht war dünn, die Wangen, die gerade Nase, der fest geschlossene Mund, das Pflugscharkinn. Er hatte blaßblaue Augen, graues Haar und einen gestutzten grauen Bart. Unter einem langen, einfachen Wollmantel, dessen Kapuze er zurückgeworfen hatte, sahen Strümpfe und Seehundsschuhe hervor; nichts davon roch gut. Ein Schwert, mit dem er sich gegürtet haben mußte, als er den Lärm hörte, hing von seiner Mitte. Seiner Form nach zu schließen, war es für einen Wikinger geschmiedet worden. Waren die Leute hier tatsächlich so hinter der Zeit zurückgeblieben, oder konnten sie sich nichts Neues leisten?
»Wollt ihr uns auch eure Namen und den eures Stammes nennen?« befahl er mehr, als er bat. Herausfordernd: »Ich bin Haakon Arnorssohn, und dies ist meine Heimstätte Ulfsgaard.«
»Das wissen wir«, antwortete Eyjan, »weil wir gefragt haben, wer der wichtigste Mann in dieser Gegend sei.« Mit fast den gleichen Worten wie gegenüber seiner Tochter berichtete sie von ihrer Suche bis zum gestrigen Tag – nur daß sie behauptete, Liri sei unfruchtbar geworden, und verschwieg, daß der Grund für ihre Flucht ein Exorzismus gewesen war. Inzwischen hatten die Männer des Haushalts soviel Mut gefaßt, daß sie näher schlurften, und die Frauen und Kinder, daß sie den Eingang blockierten. Die meisten waren jünger als Haakon und durch lebenslange Unterernährung klein gewachsen. Einige wackelten auf krummen Beinen oder in Schmerzen durch Rheumatismus und Knochendeformierungen einher. Die Nacht ließ sie in ihren geflickten Kleidern erschauern. Ein Gestank quoll aus dem Haus hervor, den der beißende Rauch nicht ganz überdecken konnte: die Ausdünstung niemals gebadeter Körper, die auf engstem Raum zusammengedrängt leben müssen.
»Könnt ihr uns irgend etwas berichten?« schloß Eyjan. »Wir werden dafür bezahlen ... nicht mit Gold von diesen unseren Ringen, es sei denn, ihr wünscht es, sondern mit mehr Fisch und Seewild, als ihr selbst fangen könnt.«
Haakon dachte nach. Der Wind jammerte, die Leute flüsterten und machten
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