Kinder des Wassermanns
Zeichen in die Luft, die nicht alle das Kreuz darstellten. Endlich hob er den Kopf und fuhr die Geschwister an: »Wo habt ihr von mir erfahren? Von den Skraelingen, wie?«
»Von den was?«
»Von den Skraelingen. Unseren häßlichen, kleinen Heiden, die in den letzten hundert Jahren vom Westen her nach Grönland eingesickert sind.« Er schnaubte: »Sie kamen zusammen mit frostigen Sommern, verdorbenen Feldern. Ich glaube, daß nicht Gottes Fluch auf uns liegt; ihre Zauberer haben das Unglück über uns gebracht!«
Tauno spannte sich im Körper wie im Geist an. »Aye«, antwortete er. »Wir haben eine Gruppe von ihnen getroffen, und deine Tochter Bengta, Haakon. Willst du dein Wissen gegen Neuigkeiten von ihrem Befinden verkaufen?«
Ein Schrei gellte auf. Haakon zeigte die Zähne in seinem Bart und sog zwischen ihnen die Luft ein. Dann stampfte er den Speerschaft auf die Erde und röhrte: »Genug! Seid still, ihr Hunde!« Als wieder Ruhe eingetreten war, sagte er leiste: »Kommt mit hinein, und wir werden miteinander sprechen.«
Eyjan zupfte Tauno am Ellenbogen. »Sollen wir?« fragte sie in der Meersprache. »Draußen können wir einem Überfall entkommen. Zwischen Wänden sitzen wir in der Falle.«
»Ein unvermeidliches Risiko«, entschied ihr Bruder. Zu Haakon gewandt: »Forderst du uns auf, deine Gäste zu sein? Werden wir dir heilig sein, solange wir unter deinem Dach weilen?«
Haakon schlug das Kreuz. »Bei Gott und St. Olaf schwöre ich es euch, wenn ihr eure eigene Harmlosigkeit bezeugt.«
»Das tun wir, auf unsere Ehre«, antworteten sie, die einem Eid ähnlichste Formel, die das Feenvolk kannte. Sie hatten die Erfahrung gemacht, daß Christen es als Hohn auffaßten, wenn seelenlose Wesen wie sie das Heilige anriefen.
Haakon führte sie über die Schwelle. Eyjan erstickte beinahe, als der Gestank sie mit voller Wucht traf, und Tauno zog die Nase kraus. Die Inuit waren nicht reinlich, aber die Gerüche in ihren Wohnquartieren zeugten von Gesundheit und Überfluß. Hier dagegen ...
In einer Kuhle des Lehmbodens brannte ein klägliches Torffeuer. Es spendete das einzige Licht, bis Haakon befahl, ein paar Seifensteinlampen mit Tran zu füllen und anzuzünden. Danach wurde seine Armut deutlich. Das Haus verfügte nur über einen einzigen Raum. Die Bewohner hatten schlafen gehen wollen; Strohsäcke waren auf den Bänken ausgebreitet, die die Wände umgaben, in dem Alkovenbett, das dem Herrn des Hauses gehören mußte, und auf dem Boden für die Niedrigen. Die Gesamtzahl war etwa dreißig. So mußten sie liegen und sich ihr gegenseitiges Schnarchen anhören, wenn das hastige Liebesspiel des einen oder anderen Paares, das noch Kraft dazu hatte, vorbei war. Am Ende des Raums war eine Art Küche errichtet. Geräuchertes Fleisch und Stockfisch hingen von den Dachbalken, dazwischen war Flachbrot auf Stangen aufgespießt, und der Vorräte waren es erschreckend wenige angesichts dessen, daß der Wind bald den Winter heran-blasen würde.
Und dennoch war es ihren Vorfahren gar nicht so schlecht gegangen. Da gab es einen Hochsitz für den Herrn und die Herrin, reich geschnitzt, auch wenn die Farbe abgeblättert war, der zweifellos aus Norwegen stammte. Darüber schimmerte ein Kruzifix aus vergoldeter Bronze. Kunstvoll gearbeitete Zederntruhen standen herum. So verfault und rußig die Wandbehänge auch waren, sie mußten einmal schön gewesen sein. Die Waffen und Werkzeuge, die zwischen ihnen hingen, waren immer noch erfreulich anzusehen. Von allem war mehr vorhanden, als diese paar Bewohner benutzen konnten. Tauno flüsterte Eyjan zu: »Ich vermute, die Familie und das Gesinde haben früher in einem besseren Haus gelebt, in einer richtigen Halle, sind aber ausgezogen, als sie für eine Handvoll Menschen zu schwer zu heizen war, und haben diese Hütte gebaut.«
Sie nickte. »Aye. Sie hätten die Lampen heute abend nicht in Gebrauch genommen, wären wir nicht da. Ich glaube, sie bewahren das Fett für die Hungersnot auf, die sie erwarten.« Sie erschauerte. »Huh, ein lichtloser Grönlandwinter! Mehr Leben hatte das ertrunkene Averorn.«
Haakon nahm den Hochsitz ein, und in einer Art, die anderswo längst aus der Mode gekommen war, winkte er seinen Besuchern, sich auf die Bank ihm gegenüber zu setzen. Er befahl, Bier zu bringen. Es war schwach und sauer, kam jedoch in silbernen Bechern. Er erklärte, er sei Witwer. (Aus ihrem Benehmen ihm gegenüber schlossen sie, daß eine schlampige Frau mit dickem Bauch ein Kind
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